Betonköpfe in Hildesheim
by Alexander Will
Es dürfte sich um einen der abstoßendsten antisemitischen Skandale an einer Universität der Bundesrepublik seit vielen Jahren handeln. Die Hauptdarsteller sind die Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kultur in Hildesheim (HAWK), verschiedene Medien und eine empörte Öffentlichkeit. Mit dem Versuch, sich gegen aufbrandende Kritik zu verteidigen, hat die Fachhochschule in der niedersächsischen Provinz jetzt alles noch viel schlimmer gemacht und ein Beispiel geliefert, wie tief antisemitische Vorurteile unter dem Deckmantel der Israelkritik in deutschen akademischen Eliten verwurzelt sind.
Was war geschehen? Mitte Juli dieses Jahres wurde Lehrinhalte eines Seminars an der HAWK bekannt. Unter dem unverfänglichen Titel „Zur sozialen Lage von Jugendlichen in Palästina“ wurden Studenten dort bereits seit Jahren einseitig antiisraelisch indoktriniert. Der Skandal zog Kreise (siehe hier und hier). Dabei spielten offenbar auch antisemitische Stereotype eine große Rolle. Das verwendete Lehrmaterial spricht Bände. Beispiele:
- Ein Artikel aus dem rechtsextremen und notorisch antiisraelischen Magazin „Compact“ mit dem Titel „Der irre Messias von Tel Aviv“. Gemeint ist der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu.
- Artikel der „Jungen Welt“ – eine Zeitung, die sich antiisraelischer Propaganda von Links verschrieben hat.
- Dokumente der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft, die nach Angaben der Jerusalem Post gleich noch mit einer Mitgliederwerbung verbunden waren.
- Und schließlich ein Artikel des schwedischen Journalisten Donald Boström von 2009. Titel: „Unsere Söhne werden ihrer Organe beraubt“. Ausschließlich auf Gerüchten und Aussagen antiisraelischer Araber basierend, behauptete Boström, der israelische Staat töte junge Araber, um ihre Organe zu verkaufen. Der Autor selbst mußte später, einräumen, daß ihm keinerlei Beweise für diese Anschuldigungen vorliegen. Es handelte sich also um eine schlichte als Journalismus getarnte Lüge. Brisant: Seit dem Mittelalter werden Juden beschuldigt, Nichtjuden zu töten um ihr Blut zu rituellen und medizinischen Zwecken zu benutzen. Diese alte Lüge feiert in neuem Gewand Wiederauferstehung und wird an der HAWK verbreitet.
Wie man all das im Rahmen des gestellten Seminarthemas rechtfertigen kann, ist unerklärlich. Ebenso wie die Reaktion der Hochschule.
Deren Ethikkomission habe die Vorwürfe geprüft und keinen Anlaß zu Kritik gesehen:
Die kritisierten Quellen dienen im Seminar als Material zur kritischen Auseinandersetzung, sie sind selbstverständlich nicht Auffassung der Dozentin oder der Hochschule.
Was das bedeuten soll, bleibt völlig im Unklaren. Betrachtet die Hochschule diese „Materialien“ etwa als „Quellen“? Dann wäre dringend Nachhilfe in Begrifflichkeiten notwendig. Mindestens bei den inkriminierten Texten handelt es sich um einseitige, lügnerische Propaganda, die keinerlei wissenschaftlichem Anspruch gerecht wird. Eine wissenschaftliche Analyse findet darin nämlich nicht statt. Zum anderen sind sie auch als Quellen etwa zur Beleuchtung palästinensischer Befindlichkeiten unbrauchbar. Es sind keine Originalquellen arabischer Provenienz. Brauchbar wären sie hingegen in einem Seminar, das etwa unter dem Titel „Antiisraelische Propaganda in Europa“ anzubieten wäre. Dort könnte dann auch eine angemessene Aufarbeitung stattfinden. Selbst die HAWK-Präsidentin Christiane Dienel spricht in ihrer Erklärung aber völlig unkritisch von „Quellen“. Da stellt sich die Frage nach den wissenschaftlichen Standards an dieser Hochschule ganz von selbst.
Daß die Ethikkommission darauf kommt, es gäbe keine Probleme mit der neuen Version des antisemitischen Stereotyps vom mörderischen Juden, der den armen Nichtjuden auflauert, könnte man als Witz verbuchen, wäre es nicht derart abstoßend.
Die Hochschule erklärt, man könne das Seminar nur in Kombination mit einem zweiten Seminar besuchen, das die Dinge „aus israelischer Sicht“ beleuchte. Eine erbärmliche Schutzbehauptung: Die massive Verbreitung antiisraelischer und antisemitischer Stereotype in einer universitären Veranstaltung wird dadurch nämlich keineswegs entschuldigt. Was außerdem ein Seminar „zum jüdischen Leben in Deutschland“ mit dem Konflikt in Israel zu tun hat, und wie darin die „israelische Sicht“ vermittelt werden soll, bleibt wenig erhellend.
In der persönlichen Erklärung der HAWK-Präsidentin heißt es:
Antisemitismus ist der Hochschule fremd; im Gegenteil pflegen die Kolleginnen und Kollegen der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit, ebenso wie Kolleginnen und Kollegen anderer Fakultäten, vielfältige und herzliche Austauschbeziehungen zu israelischen Hochschulen, Kolleginnen und Kollegen.
In der umfangreichen Auflistung der Partnerhochschulen der HAWK findet sich jedoch (Stand 30.7.2016) keine einzige israelische Universität. Warum?
Der Schluß der Erklärung Dienels ist starker Tobak. Es handelt sich vor allem um die Klage, man werde unberechtigt kritisiert. Kritik sieht Dienel als „Shitstorm“ und „Bedrohung“, dabei hat sie wenige Zeilen zuvor noch selbst auf die Notwendigkeit offener Auseinandersetzung hingewiesen. Am Ende ist sie sich nicht zu schade, erneut bei einem antisemitischen Vorurteil Anleihe zu nehmen – dem der jüdischen Lobby, die brutal und unberechtigt gegen alles vorgeht, was ihr nicht paßt. Wie anders soll man diesen Absatz sonst verstehen, auch wenn er sich drehend und windend daherkommt und weder „Lobby“ noch „Jude“ enthält?
Ziel ist offenbar, mit allen Mitteln zu verhindern, dass unterschiedliche Sichtweisen zu diesem Konflikt an unserer Hochschule zu Wort kommen dürfen. Es soll mit moralischem Druck und dem völlig unberechtigten Vorwurf des Antisemitismus erzwungen werden, dass den Kritikern nicht genehme Inhalte an unserer Hochschule verbannt werden.
Es sei übrigens der HAWK ins Stammbuch geschrieben, daß eine von Steuergeld finanzierte Einrichtung sich auch gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen hat. Es handelt sich hier eben nicht um lästige Präpotenz, sondern um das gerechtfertigte Interesse der Öffentlichkeit an einem Vorgang, den sie nicht billigt.
Alles in allem wären also Demut und Selbstkritik eine angebrachte Reaktion gewesen. Was wir dagegen serviert bekommen, tropft jedoch von Larmoyanz, Selbstüberhebung und Ignoranz. Es zeigt auch, wie sich antisemitische Stereotype heute als „Israelkritik“ tarnen. Es liegt an den Verantwortlichen, jetzt schnell diesen verhängnisvollen Kurs zu korrigieren und nicht darauf zu hoffen, daß nach dem Sommer schon alles wieder vergessen sein wird.