Worte wie Projektile (1) – „Hetze“
by Alexander Will
So viel Konflikt war selten: In Deutschland bilden sich politische Fronten, wie noch nie nach 1945. Carl Schmitt würde sich bestätigt fühlen – die Freund-Feind-Kategorien ist jetzt Maßstab alles Redens und Handelns. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen. Es geht darum, ihn zum Schweigen zu bringen. Hier werden Begriffe zu Waffen. Scharf aufgeladen sind sie die tödlichen Projektile an der Front des geistigen Bürgerkriegs. Heute: „Hetze“.
Die „Hetze“ oder auch „hetzen“ ist eines der älteren Geschosse im ideologischen Grabenkrieg. Der ursprünglich jagdliche Begriff – er bezeichnete einst das Verfolgen, das Jagen an sich – wird heute benutzt, wenn man sich mit Kritik gar nicht erst auseinandersetzen will. Es bedient sich seiner vorzugsweise die Linke. Da ist so ziemlich alles „Hetze“, was linke ideologische Positionen angreift. Sei es die Kritik an einem Säulenheiligen wie Karl Marx, sei es die Kritik an offenen Grenzen oder am politischen Islam. Die Linke benutzt es wie ein Synonym: Kritik an linken Ideen und Projekten gleich „Hetze“.
Wer dann nur laut genug „Hetze“ brüllt, kann fast sicher sein, dass er damit den Inhalt der Kritik abbügelt. Die Kategorie „Hetze“ enthebt nicht nur, Argumente zu reflektieren – sie befreit davon, sich diese überhaupt anzuhören. Heute gehört der Vorwurf der „Hetze“ untrennbar dazu, wenn es darum geht, politische Akteure aus dem Diskurs auszuschließen, jegliche Kommunikation mit ihnen zu verweigern. Kurz: „Hetze“ ist alles, was die Linke nicht hören will.
Doch mit Abfeuern des Begriffes auf den politischen Gegner erreicht der Schütze noch ein weiteres Ziel: Er rückt das Ziel in die Nähe der Kriminalität, macht den Andersdenkenden zum Verbrecher. „Hetze“ findet sich nämlich im deutschen Strafgesetzbuch, als Teil eines zusammengesetzten Substantives. Paragraph 130 Strafgesetzbuch behandelt die „Volksverhetzung“. Schuldig ist, wer „ gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung“ zum Hass aufstachelt.
Was ist Hass? Für Bundesrichter „eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung oder Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen den betreffenden Bevölkerungsteil“. Das alles ist natürlich reine Definitionsfrage, eine Frage der Betrachtung, und damit sind wir beim Gesinnungsstrafrecht, das Haltungen und Worte, nicht Taten bestraft.
Derartiges hat in Deutschland Tradition. In der DDR-„Verfassung“ gab es mit Artikel sechs, Absatz zwei einen Gummiparagraphen zur „Boykotthetze“, der auch zur Verhängung der Todesstrafe benutzt wurde. Seit 1968 stand dann im Strafgesetzbuch die „Staatsfeindliche Hetze“, die zwei bis zehn Jahre Knast kostete – „Hetze“ als strapazierfähige Rechtfertigung zur Abstrafung politisch Missliebiger. In die gleiche Richtung zielte das „Heimtückegesetz“ der Nazis.
Merke: Wer in der politischen Auseinandersetzung von „Hetze“ redet, will in der Regel keinen Dialog, sondern sucht ein Totschlagargument. Wer „Hetzer“ ist, steht außerhalb des Diskurses. Was „Hetze“ ist, richtet sich nach der ideologischen Befindlichkeit derjenigen, die dieses Geschoss abfeuern. Ein objektives Maß gibt es nicht.
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Erstaunlich, wie leicht Politbegriffe der DDR in die politische Auseinandersetzung der Bundesrepublik Eingang fanden!