40 Jahre streng geheim in Amerika: Ein deutsches Buch von 1808
by Alexander Will
Es ist wirklich erstaunlich, wie sklerotisch Regierungsorganisationen mit der Zeit werden. Bei den Recherchen zu meinem eben veröffentlichten Buch bin ich im Zusammenhang mit der Geheimhaltung von Informationen auf folgende absurde Geschichte aus der Gegenwart gestoßen.
Vor rund einem Jahr entließ die Regierung der USA verschiedene Dokumente aus der Geheimhaltung. Das passiert in jedem einigermaßen demokratischen Land und ist in der Regel ein Vorgang, der nach einer Reihe von Jahren mit jedem Regierungsdokument automatisch geschieht. Die National Archives in London geben die deklassifizierten Dokumente der britischen Regierung zum Beispiel regelmäßig auf ihrer Homepage bekannt. In den USA ist dafür unter anderem auch die National Security Agency zuständig. Die nun verkündete am 8. Juni 2011 stolz, man habe auch ein Buch von 1808 aus der Geheimhaltung entlassen. Titel: ,,Cryptology: Instruction Book on the Art of Secret Writing“ (Pressemitteilung hier).
Das ist nun ein wirklich erstaunlicher Vorgang. Zum einen handelt es sich um ein gedrucktes Buch, das natürlich damals zur Publikation bestimmt war. Geheim? Sicher nicht! Zum anderen fragt sich, was nach 200 Jahren noch geheimhaltungswert sein könnte.
Mir kam allerdings der Titel merkwürdig vor. Irgendwo war er mir schon einmal begegnet – und zwar auf Deutsch. Nach einigen Herumsuchen stellte sich folgendes heraus. Bei den von den Amerikanern veröffentlichten Dokument (hier downloadbar) handelt es sich tatsächlich um einen deutschen Text. Es ist aber kein vollständiges Buch, sondern ein maschinschriftliches Exzerpt. Nach den Typen der Schreibmaschine zu urteilen, dürfte diese aus den 30er oder 40er Jahren stammen. Es liegt also nahe, daß dieses Dokument den Amerikanern nach 1945 als Beute in irgendeiner deutschen Dienststelle in die Hände gefallen ist. Diese Vermutung wird unterstützt durch eine Notiz auf Seite drei. Dort ist zu lesen: ,,Standnummer in der Preußischen Staatsbibliothek V 8872″. Deren Bestände sind heute in der Staatsbibliothek in Berlin zu finden. Und in der Tat: Dort steht das Buch noch heute.
Die vollständige bibliografische Angabe lautet: Klüber, Johann Ludwig: Kryptographik: Lehrbuch der Geheimschreibekunst (Chiffrir- und Dechiffrirkunst) in Staats- und Privatgeschäften. Tübingen, 1809. Johann Ludwig Klüber war ein badischer Rechtsprofessor, der unter anderem die Verhandlungen über die Bundesakte dokumentiert hat. Der Mann war also mit den Gepflogenheiten in der Diplomatie vertraut. In seinem Buch hat er das Wissen der Zeit zusammengefaßt.
Übrigens gibt’s den Band im Original schon längere Zeitals pdf-Datei im Netz. Goggle Books hat Klübers Schrift fein säuberlich digitalisiert. Da dachten also die Amerikaner, sie hätten ein ultra-geheimes Nazidokument in den Fingern – und dann war’s doch nur eine historische Quelle.