Über das Katholische
by Alexander Will
Der Katholizismus in Deutschland ist unter schwerem Beschuß. Wer sich in diesem Land für ,,aufgeklärt“ hält, für den gehört es heute zum guten Ton, die katholische Kirche für vermeintliche Diskriminierung von Frauen und Schwulen anzuprangern, sie wegen ihres Umgangs mit Sexskandalen zu schelten und ihr insgesamt die Existenzberechtigung wegen angeblicher ,,Mittelalterlichkeit“ abzuprechen. Diese Fundamentalisten der Aufklärung verkennen dabei allerdings, daß es nicht ihre Angriffe sind, die dem Katholizismus in Deutschland den Todesstoß versetzen werden – das besorgt die Institution in selbstmörderischer Weise schon ganz allein.
Der Mensch – das wußten schon die Alten – lebt nicht vom Brot alleine. Der Mensch ist auch kein Wesen, das ausschließlich den materiellen Gegebenheiten dieser Welt verpflichtet oder an sie gebunden ist. Nein, der Mensch ist auch ein spirituelles Wesen, und das wird außer dogmatischen Atheisten ganz sicher niemand bestreiten. Damit hat der Mensch spirituelle Bedürfnisse und spirituelle Fragen, ja er leidet zu Zeiten unter seinem doppelten Wesen.
Traditionell waren nun in unseren Breiten die christlichen Kirchen für diese Dinge zuständig. Seit dem Advent der Postmoderne hat sich dieses Monopol auf spirituelle Hilfe, auf Beistand und Orientierung jedoch aufgelöst. Heute glaubt jeder, was er will. Neben Sekten blühen Privatreligionen aller Art, alles ist erlaubt, sei es auch noch so absurd. Das hat die einstigen Monopolinhaber – die Kirchen eben – in tiefste Verwirrung gestürzt. Sie verlieren Mitglieder, die Gotteshäuser sind leer, und besorgt fragen sich die großen und kleinen Fürsten der christlichen Konfessionen: Was bleibt uns noch? Zu wem sollen wir sprechen? Wovon sollen wir sprechen?
Diese Fragen sind nun die durchaus richtigen – die Antworten aber die falschesten, die zu denken sind. Die Kirchen in Deutschland nämlich begraben den Kern ihres Wesens – die Religion, das Spirituelle, man mag es das ,,Geheimnis“ im besten Sinne nennen – unter einem Berg von Profanität. Die evangelische Kirche ist inzwischen zu einer Art SPD-Sekte geworden. Um die katholische Kirche ist es nicht viel besser bestellt. Daß es sich bei dieser Erkenntnis um mehr als eine These handelt, sei in drei Punkten exemplarisch belegt.
Vor einiger Zeit hatte ich wegen eines persönlichen Übergangsritus, der gewöhnlich mir einer religiösen Zeremonie verbunden ist, engeren Kontakt zu katholischen Priestern. Es war dies ein erstaunliches Erlebnis. Die Herren waren überaus freundlich und an der Person, die ihnen da gegenüber saß, ihrer Persönlichkeit und ihrem Anliegen sehr interessiert. Sie waren empathisch und kommunikativ. Nur: In mehreren Gesprächen fiel seitens der Priester nicht ein einziges Mal das Wort ,,Gott“. Die Konversation kam im Wesentlichen ohne jeglichen spirituellen Bezug aus; sie erschöpfte sich in organisatorischen und bürokratischen Formalien. Als ich schließlich selbst auf dieses Feld vordringen wollte – da wechselten die gesalbten Priester des Herrn das Thema, so schnell es ihnen möglich war.
Wie ist das zu interpretieren? Möglicherweise gibt es zwei Erklärungen. Zum einen sind es katholische Priester offenbar nicht mehr gewöhnt, daß sie es mit religiös interessierten Menschen zu tun haben. Es scheint, als ob insbesondere bei Übergangsriten es der Priester bereits akzeptiert hat, nur noch eine Zutat für eine möglichst eindrucksvolle Zeremonie zu sein, ein etwas angestaubtes aber trotzdem romantisches Utensil eben.
Es ist erstaunlich, daß sich Pfarrer dazu erniedrigen lassen.
Zum anderen aber scheinen sie regelrecht Angst zu haben, die Prinzipien ihrer Religion zu vertreten, ja sogar über sie offensiv zu reden. Es scheint, als ob die postmoderne Beliebigkeit hier ganz besonders ,,erfolgreich“ gewirkt und tiefe Wunden im Selbstverständnis hinterlassen hat. Offenbar besteht die Angst darin, in einer Zeit, in der ja alles erlaubt, alles ,,gleichwertig“ zu sein hat, jemandem eine bestimmte Haltung zu oktroyieren oder auch nur so zu wirken, als wolle man das. Besonders absurd wirkt das in einem Fall, in dem jemand auf die Institution Kirche zugeht, etwas von ihr möchte.
Diese Angst spiegelt sich in einem Text, den ich vor längerer Zeit auf Webseite der Franziskaner entdeckt hatte. Darin wird nichts weniger postuliert, als daß alle Religionen gleichwertig sind. Unter anderem liest man:
Religionen sind ein Reflex der Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen. Immer schon machte Gott sich auf, um die Menschen zu suchen. Und die Menschen ihrerseits versuchten, je nach Einsicht und Verständnis darauf Antwort zu geben. Das ist der Ursprung der vielen Religionen, nebeneinander und miteinander.
Weiter heißt es:
Und wir müssen davon ausgehen, daß die Vielheit der Religionen nicht ein bedauerlicher ‚Unfall‘ in Gottes Schöpfung ist. Wie auch in der übrigen Schöpfung erst die Komplexität und Vielheit die Schönheit ermöglicht, so ist auch die Vielheit der Religionen der eigentliche Zugang zur Wahrheit im Heilsplan Gottes.
Zunächst gilt allerdings ja wohl in der katholischen Kirche noch immer die alte Regel:
Extra ecclesiam nulla salus.
Sodann fragt man sich, wozu man diese Kirche dann noch benötigt, wenn Gottes Heilsplan ja in der ,,Vielheit der Religionen“ liegt. Da es dem Menschen ohnehin unmöglich ist, zu vollständiger Gotteserkenntnis zu gelangen, reicht es ja in diesem Fall wohl aus, eine beliebige Anzahl von Religionen zu kennen und fein zu finden. Die katholische Kirche muß nicht unbedingt dabei sein. Umgekehrt sehen die Dinge allerdings noch übler aus: Nimmt man diesen Satz nämlich ernst, dann ist ein Mensch verloren, wenn er darauf besteht, die Wahrheit nur in seiner Religion zu finden, weil er ja Gottes Heilsplan, der angeblich in der Vielheit der Religionen liegt, nicht erkennt. Wir haben es hier mit primitiver Gutmenschen-Theologie zu tun, die nur noch vom Kindergartenpantheismus des ,,Gott-ist-in-allen-Blümlein“ übertroffen wird. Mit derartigen Texten macht sich die katholische Kirche selbst überflüssig. Das Spezifische, das Partikulare sucht man vergeblich. Es herrscht schlicht Angst, dieses zu formulieren. Schlimmer noch: Den Suchenden stoßen solche Doktrin ab, denn wie kann man jemandem glauben, der sich seines Eigenen nicht sicher ist?
Nun sieht es aber so aus, als wolle die katholische Kirche gar nicht mehr missionarisch sein – jedenfalls nicht auf spirituellem Gebiet. Wie anders ist es zu erklären, daß eine Zeitschrift, die sich in der Unterzeile ,,Magazin für missionarische Pastoral“ nennt, derartig technokratisch daherkommt, daß dort folgender Text erscheinen kann, der eher in eine Wirtschaftszeitung passen könnte und der durch seine stilistische Schwurbelei jeden Rest christlicher Spiritualität rüchstandslos erledigt:
Gegenwärtige Arbeitsprozesse sind komplexen und heterogenen Veränderungen unterworfen: Zum einen ist im Bereich hochqualifizierter Beschäftigungen ein Trend zur Dezentralisierung, Flexibilisierung und Selbstorganisation zu beobachten; bei geringqualifizierten Beschäftigungen hingegen kommt es zu zunehmend prekären und restriktiven Arbeits‐ und Lebensbedingungen,…
Man versucht, die Leute mit Sozialthesen, die einen gehörigen politischen Linksdrall aufweisen, zu missionieren. Alles gut und schön – nur wozu braucht’s dazu noch eine Kirche? Die PDS tut es doch auch! Die Aufgabe einer Kirche ist jedenfalls eine andere, auch wenn an dieser Stelle ,,moderne“ Katholiken Zeter und Mordio schreien mögen. Nur wenn die Kirche sich um die spirituellen Bedürfnisse der Menschen bemüht, hat sie überhaupt eine Existenzberechtigung – und eine Zukunft.