Vier Flaschen israelischer Wein
by Alexander Will
Wer den Charakter eines Volkes kennenlernen will, der sollte sich mit seinen Sicherheitsorganen beschäftigen. Hier leben sich die Gene des Nationalcharakters nämlich in der Regel am unverfälschtesten aus. Das gilt natürlich auch für Deutschland. In diesem Land enthüllen sich bei derartigen Begegnungen gelegentlich bestialische Unterströmungen, die schaudern lassen. Wer das nicht glaubt, sollte nur einmal versuchen, mit vier Flaschen israelischen Weins über den Flughafen München einzureisen und von dort einen Anschlussflug zu nehmen. Er wird ein blaues Wunder an Ignoranz, Anmaßung, Unverschämtheit und lustloser Frechheit erleben.
Steigt man am Franz-Josef-Strauß-Aiport aus der Israel-Maschine, hat man die weltweit strengsten Kontrollen am Flughafen Tel Aviv anstandslos bestanden. Da hat keine Bombe eine Chance, und auch die Einkäufe im flughafeneigenen Weinladen sind nur später einmal für den ungetrübten Blick in die Welt gefährlich. Das System am Ben-Gurion-Flughafen ist so ausgeklügelt, dass die Israelis aus gutem Grund auf gewisse Schikanen und fragwürdigen sicherheitstechnischen Hokuspokus verzichten, wie er in Europa und Deutschland üblich ist. In Israel schert sich kein Mensch darum, ob irgendein Passagier eine Flasche Wasser, Cremetuben oder eben Wein-Flaschen durch die Kontrollen bringt. Das Zeug wird durchleuchtet. Fertig.
Anders in Deutschland. Anders in München. Da muss man, um seinen Anschlussflug zu erreichen noch einmal durch die Sicherheitskontrolle. Andere Flughäfen lösen das eleganter. Der Befehlston ist in München zudem einmalig, erlebens- und hörenswert. Das mag auch daran liegen, dass schnarrendes Bayerisch ein abstoßendes Geräusch ist. Kommt das dann auch noch aus dem Mund eines dicken Mannes, dessen Hemd farblich nicht zur sackartigen Hose passt, dessen Bart nachlässig gepflegt ist und dessen gesamter Habitus nur tiefste Verachtung für die Spezies „Reisender“ vermittelt, dann möchte man schreiend dorthin fliehen, wo man eben herkam. Doch man muss an dem Untier vorbei.
– Die Gestalt eröffnet in Halbsätzen dem Reisenden, dass man hier ein Problem habe.
– Wieso? Ist es verboten, Wein aus Israel einzuführen?
– Nein, das sei es nicht. Die Flaschen befänden sich nicht in einem verschlossenen, durchsichtigem Beutel. Deswegen fielen sie der Konfiskation anheim.
Die Plastiktüten aus dem Zollfrei-Laden in Tel Aviv sind in der Tat rot und nicht verschweißt.
– Hier ist aber auch die Rechnung, die zeigt, dass alles im Sicherheitsbereich gekauft wurde!
– Nein. Völlig egal. Spielt keine Rolle. Und dann: „Die wollen ja nur Geld machen, die Israelis!“
– Wie – „Geld machen?“ Weil sie auf durchsichtige Tüten verzichten? Weil sie Wein verkaufen? Weil sie überhaupt da sind?
Der Dicke will sich nicht erklären. Er schnaubt.
Die Flaschen seien entweder bei ihm abzugeben oder am Schalter ins Gepäck aufzugeben.
– Gut – machen wir, wenn es sein muss. Wo ist der Schalter und wie lange dauert das erfahrungsgemäß?
– Keine Ahnung, das sei ihm auch völlig egal.
Inzwischen ist der bayerische Gorilla laut geworden und seine Augen beginnen unter dem Kassengestell aus den Höhlen zu treten. Wir sollten uns nicht so anstellen, schließlich warteten noch andere Passagiere. Ende der Diskussion! Hinter der Barriere mischt sich nun auch das Kontrolleurs-Fußvolk ein. Man mache das ja nicht zum Spaß. Man habe sich das ja nicht selbst ausgedacht. Das seien ja alles Vorschriften aus Brüssel, ruft ein kleiner Kerl mit Schnauzer und Glatze quer durch den Raum. Er rudert wie eine Windmühle mit den Armen und vergisst seinen „Kunden“, der mit ausgestreckten Armen und ohne Schuhe vor ihm steht.
Das kennen wir alles. Dieses „wir tun ja nur unsere Pflicht“. Dieses „wir erfüllen ja nur die Gesetze“, das sind genau die Ausreden und Scheinargumente, die einst DDR-Grenzer bemühten, wenn sie Reisende kujonierten oder Flüchtlingen in den Rücken schossen. Das hier ist das gleiche Denken, die gleiche niedere Gesinnung.
Inzwischen beginnt sich, eine Art Oberaufseher für das Geschehen am Schalter Nummer eins zu interessieren. Mitte 30, Bürstenhaarschnitt, gut sitzender Mittelklasseanzug. Nur die schreiend bunt gemustert Kunststoff-Krawatte verrät auf den ersten Blick, dass gewollt noch lange nicht gekonnt ist. Der Mann schiebt den Dicken beiseite, spannt die Kinnmuskeln und beginnt uns erneut über die Unzulässigkeit des Transportes von Flüssigkeiten in undurchsichtigen, unverschweißten Behältnissen zu belehren. Der Akzent ist weniger grausam, dafür das Vokabular reinster Bürokratensprech. Der Mann zieht sich so hinter die Mauern der Vorschriften zurück und verschanzt sich dort. Die Diskussion beginnt erneut, wird lautstark.
– Welche Lösungen gibt es? Der Wein war sehr teuer.
– Das sei ihm völlig egal, interessiere ihn nicht. Wenn wir den Flug verpassten, sei das unser Problem. Er habe hier seinen Dienst zu tun.
Unterdessen wird meine Frau einer Leibesvisitation unterzogen. Die untersetzte, teiggesichtige Kontrolleurin mit dem Metalldetektor herrscht sie an: „Füße hoch!“ Der Ton klingt nach Arbeitslager und Gulag. Die Szene dauert inzwischen bereits knapp zehn Minuten, wir sind entschlossen, das ganze eskalieren zu lassen. Doch der schnöselige Oberaufseher hat sich jetzt gefangen.
– Ja, es gebe da noch so eine Möglichkeit. Die koste aber… Es käme eben darauf an, ob es uns das Wert ist. Wir könnte unsere Flaschen hier lassen – sie würden uns nachgeschickt. Sie müssten schließlich „ins Röntgengerät“, fügt er wichtig hinzu. Das sei teuer. Er zückt ein Formular. 12,80 Euro – pro Flasche! Dafür liefert der Weinhändler des Vertrauens 24 Flaschen quer durch Deutschland. Wer will hier eigentlich „Geld machen“? Unser Flug wartet, also stimmen wir zu. Der Schnösel ist froh, uns los zu sein.
Wie wäre nun diese Situation in zivilisierten Ländern gelöst worden? Etwa so:
– Oh, wir haben da ein Problem. Es tut uns sehr leid, aber wir können Sie mit diesen Flaschen nicht ins Flugzeug lassen. Es tut uns leid, Ihnen Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wir haben da aber eine Lösung für Sie, die wir Ihnen anbieten können. Lassen Sie sich doch einfach alles nachschicken. Das ist ein Service, den wir in solchen Fällen anbieten. Vielleicht auch noch der vertrauliche Hinweis, das man ja selbst diese Vorschrift nicht glücklich findet. Schon wäre der Ton entschärft und die Situation fast schon ins Positive gedreht worden.
Deutsche Bürokraten, deren Gene noch aus dem Obrigkeitsstaat stammen, sind dazu jedoch offenkundig unfähig. Kein Wunder, dass sich immer mehr Deutsche über die Diskrepanz zwischen den Predigten der Politik über Bürgernähe und Demokratie und der täglich erlebten brutalste möglicher Durchsetzung von Regeln und Gesetzen aus dem Geiste realitätsentwöhnter Schwachköpfe wundern. Es steht zu fürchten, das es nicht beim Wundern bleibt.
Die Geschichte von vier Flaschen israelischen Weins am Flughafen München ist also letztlich nur ein Symptom umfassender politischer Dekadenz. Niemand soll glauben, dass diese ungestraft bleibt.