Der falsche Tag

by Alexander Will

Heute fast vergessen: Die Michelade in Nimes, ein protestantisches Massaker an Katholiken.

 

In Niedersachsen kreist die Politik, um eine neue Koalition zu gebären. Dabei scheint man sich – egal in welcher Konstellation – einig, dem Wahlvolk mindestens eine Wohltat zu gewähren. Ein neuer Feiertag soll es sein. Begründung: Das mit dem einmaligen Reformationstag in diesem Jahr war ja so fein, und außerdem habe Niedersachsen ohnehin erheblich weniger Feiertage als die katholischen Bundesländer im Süden.

Nun ist dies eine so absurde und abseitige Idee, daß man sie so schnell wie möglich wieder begraben sollte. Denn was ist ein Feiertag? In der Menschheitsgeschichte sind sie entstanden, weil eine religiöse oder politische Gemeinschaft ein vergangenes Ereignis durch Verzicht auf Arbeit ehren wollte. Das schlagendste Beispiel ist hier der Shabbat: Juden ehren den Ruhetag Gottes, den dieser nach dem Schöpfungsakt einlegte und damit die Schöpfung und Gott an sich. Heute dagegen sucht man sich ein Ereignis, das man zum Feiertage machen könnte – schlicht um weniger arbeiten zu müssen und vermeintliche „Ungerechtigkeiten“ auszugleichen.

Mit dem Reformationstag hat sich die Politik zudem noch einen widersinnigen Anlaß ausgesucht. Den 31. Oktober zum Dauerfeiertag zu machen hieße, den zweifelhaften Gründungsmythos der Evangelischen Kirche staatlich besonders zu würdigen. Zum einen ist der angebliche Thesenanschlag Martin Luthers eine Konstruktion, ihn hat es so nie gegeben. Zum anderen würde hier dem Konfessionalismus gehuldigt: Es geht nicht um einen Feiertag, der christliche Glaubensinhalte würdigt, es geht um die Gründungserzählung einer Separatgemeinschaft, der staatlicher Segen zuteil würde. Muß man das Katholiken, Agnostikern oder Atheisten wirklich antun? Heute muß es weniger Religion im öffentlichen Raum geben – nicht mehr.

Zudem kann man über die Meriten Luthers und der Reformation insgesamt durchaus geteilter Meinung sein. Ja – der Mann hat die Bibel ins Deutsche übersetzt, wenn auch keineswegs als erster. Und ja – Luther war ein Antisemit, der an Hexen glaubte und Frauen, denen dieser Vorwurf gemacht wurde, am liebsten getötet hätte. Luther, der durch die staatliche Kanonisierung des Reformationstages ins Zentrum des Gedenkens gerückt würde, war in Wirklichkeit kein großer Geist, auch wenn er bisweilen lustige Aphorismen von sich gegeben hat.

Die Humanisten der Renaissance im katholischen Rom oder Florenz haben mit Sicherheit ein helleres Licht für den menschlichen Geist entzündet als die deutsche Reformation. Denn diese schuf brutalen protestantischen Fanatismus und Dogmatismus, finstere Despotien wie die des Reformators Calvin in Genf und zum unguten Schluß ein Ungetüm wie die „Deutschen Christen“. Während Papst Julius in Rom Michelangelo protegierte, vernichteten aufgehetzte Protestanten in Deutschland in Bilderstürmen unersetzliche Kunstschätze. Während in Rom der Petersdom in göttlicher Schönheit wuchs und in Paris die wundervolle katholische Kirche Saint-Étienne-du-Mont entstand, übermalten Protestanten Fresken und zertrümmerten gotische Madonnen. Der Millionen Toten der Kriege im Gefolge der Reformation sowie des intoleranten, lebensfeindlichen und freudlosen Geistesgefängnisses, zu dem der Protestantismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde, sei ebenfalls gedacht. Nein – der „Reformationstag“ ist nichts, was es zu feiern gilt.

Aber es gibt doch einen Tag, der es verdient, ein Feiertag zu sein: der 9. November. Er beleuchtet als gleichzeitiger Jahrestag des Mauerfalls, der antisemitischen Pogrome von 1938 und der Novemberevolution von 1918 das Janusgesicht der deutschen Geschichte. Dieser Tag erinnert daran, wohin Despotie und Fanatismus führen und was die Freiheit bedeutet – und es wäre ein säkularer Gedenktag, der diesem Land gut tun würde.