Morgengedanken zum 20. Juli

by Alexander Will

Claus Philip Maria Schenk Graf von Stauffenberg (*15. November 1907, †21. Juli 1944)

Claus Philip Maria Schenk Graf von Stauffenberg um 1926 (*15. November 1907, †21. Juli 1944)

 

Der 20. Juli 1944 ist ein Schlüsseldatum der jüngeren deutschen Geschichte. Deutsche Offiziere versuchten den Tyrannen-Mord, scheiterten unglücklich und zahlten für diesen Versuch mit ihrem Leben.  Es gibt für die Ausnahmestellung dieses Tages  mehr als einen Grund. Der wichtigste besteht in der Tatsache, daß die Tat der Männer des 20. Juli heute eine positive Identifikation mit dem Konzept der Nation ermöglicht. Doch lehrt uns das Handeln und Sterben dieser Männer noch viel mehr mehr. Es wäre etwa an diese Lektionen zu denken, die es zu verinnerlichen gilt:

Die preußische Tradition bewahrte die Männer um Stauffenberg letztlich vor dem Sturz in den moralischen Abgrund: Die Attentäter erhielten sich das Selbstverständnis des preußischen Offiziers. Bei allem Gehorsam gab es für sie Grenzen dieses Gehorsams, die zu überschreiten verboten war. Jemand hat dies einmal als Haltung bezeichnet, die ,,Ungnade wählt, wo Gehorsam keine Ehre bringt“. Es wäre ein Segen gewesen, wenn es mehr Offiziere gegeben hätte, die so gedacht hätten. Es wäre ein Segen, wenn diese Haltung heute im deutschen Zivil-Leben weitere Verbreitung erführe.

Es gibt keine ,,Schwarmintelligenz“. Es gibt aber eine Schwarmdummheit: Es war die individuelle Entscheidung eines jeden Verschwörers, sich gegen das Kollektiv aufzulehnen. Das Kollektiv – das deutsche Volk des Jahres 1944 – befand sich auf dem direkten Marsch in den Untergang. Die angebliche Intelligenz der Masse vermochte dies nicht zu erkennen. Die jedem Kollektiv innewohnenende Dummheit jedoch hatte zur Folge, daß die Masse dem Gefreiten Hitler bis zur endgültigen Niederlage folgte. Die Verschwörer des 20. Juli mußten sich als Grundvoraussetzung ihrer Tat von eben diesem Kollektiv emanzipieren und wieder zu Individuen werden. Es ist kein Widerspruch, daß diese Männer ihr Ethos  aus einer ganzen Reihe von Bindungen schöpften, waren all diese, seien sie religiöser, philosophischer oder militärischer Natur gewesen, doch freiwillig eingegangen. Wie hartnäckig Schwarmdummheit sein kann, zeigt sich in der Bewertung der Männer des 20. Juli. Bis weit in die 60er Jahre hinein galten sie dem deutschen Kollektiv als verabscheuungswürdige Verräter.

Das Recht auf Irrtum besteht: Eine große Zahl der Verschwörer von 1944 stand den Nationalsozialismus 1933 keineswegs kritisch gegenüber. Elf Jahre danach kamen diese Menschen aber zu einem Entschluß, der auch das Bekenntnis zu einem persönlichen Irrtum beinhaltete. Wer hat das Recht, angesichts des Preises, der für diesen Entschluß gezahlt wurde, sie als unverbesserliche Nazis an den Pranger zu stellen? Die deutsche Linke entblödet sich nicht, genau dies zu tun. Man verneint damit den Gedanken, daß sich der Mensch entwickeln kann, daß er ein Wesen ist, dem Metamorphosen eigen sind.

Der Mensch rechtfertigt sich nur durch seine Taten: Es kommt daher letztlich nur darauf an, durch welche Taten der Mensch diese Welt in die eine oder andere Richtung bewegt. Ideologien wie Nationalsozialismus, Kommunismus und jede andere Art des Kollektivismus fragen dagegen nach der Gesinnung des Menschen. Das macht ihn letztendlich zum Sklaven dieser Ideologien und im Extremfall zum willigen Werkzeug beliebiger Abscheulichkeiten. Wer sich davon löst, findet sich am Beginn des Weges der Männer des 20. Juli wieder.

Es gibt ein Recht, Tyrannen zu töten: Sind die Verhältnisse mörderisch geworden, gibt es keinen anderen Ausweg, dann hat auch politische Gewalt eine Berechtigung. In einem solchen Fall führt Pazifismus in eine Sackgasse, an deren Ende sich nur noch höhere Leichenberge türmen.

(Foto: Bundesarchiv, Bild 183-C0716-0046-003)