Was wird aus Europa?
by Alexander Will
Diesen Vortrag habe ich am Freitag, 10. März, vor Mitgliedern der Seniorenunion Oldenburg-Land gehalten. Er ist nicht in strengen Sinne wissenschaftlich, enthält aber einige Gedanken, des es vielleicht Wert sind, gelesen zu werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
„Wohin gehst Du Europa?“ soll also das Thema der kommenden Stunde sein. Als ich begann, mich auf den heutigen Tag vorzubereiten, kam mir ein beliebtes Bonmot in den Sinn, das wahlweise Mark Twain, Niels Bohr oder Karl Valentin zugeschrieben wird: „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ In der Tat kann man sich da ziemlich verrennen, und ich freue mich heute schon darauf, in zehn Jahren dieses Manuskript zu lesen und festzustellen, wie sehr ich mich möglicherweise geirrt habe.
Ich werde also aus diesem Grund heute gar nicht erst versuchen, diese Frage eindeutig zu beantworten. Stattdessen werde ich Ihnen drei mögliche Szenarien vorstellen, die ich allesamt für möglich halte, sowie ein weiteres Szenario, das zwar immer wieder in der Debatte als Schreckgespenst bemüht wird, dessen Eintreten ich aber für außerordentlich unwahrscheinlich halte. Dabei möchte ich natürlich nicht mit einer langen Stange im Nebel stochern, sondern nach einer einigermaßen plausiblen Methode vorgehen und Ihnen so erläutern, wie ich zu diesen Szenarien gelangt bin.
Wenn wir heute die politische Landschaft betrachten, können wir mit ziemlicher Sicherheit verschiedene Entwicklungslinien und Trends identifizieren, die in Zukunft bedeutsam werden und diese Zukunft nach menschlichem Ermessen mitprägen werden. Einige dieser Trends sind dabei von überragender Bedeutung und wichtiger als andere, man bezeichnet sie heute in der Debatte auch gern als „Megatrends“. Wenn es uns gelingt, solche Megatrends zu identifizieren und wir zusätzlich noch auf die sich niemals ändernden Axiome unserer europäischen Wirklichkeit – ich meine hier etwa die Geographie oder unsere Nachbarn – schauen, gibt uns das Werkzeuge in die Hand, die es uns durchaus ermöglichen, einen Blick in die Zukunft zu werfen. Wobei man natürlich immer daran denken muss, dass die Zukunft grundsätzlich offen ist und außerdem die Lebenserfahrung lehrt, dass es ja häufig völlig anders kommt als man denkt. Ich werde also zunächst über die so genannten Megatrends sprechen, bevor ich Ihnen meine drei Szenarien für eine zukünftige europäische Entwicklung skizzieren will.
1. „Megatrends“ und politische Entwicklungslinien
Wenn man heute die Zeitung aufschlägt, Radio und TV beobachtet oder sich im Internet informiert, könnte man fast den Eindruck gewinnen, es gäbe nur noch einen einzigen Megatrend – Einwanderung und Flucht nach Europa und vor allem nach Deutschland. Das ist natürlich bei weitem nicht so, und dennoch wird Migration einer der bestimmenden politischen Megatrends der Zukunft sein. Deutschland und Europa ist das in den vergangenen Monaten schlagartig bewusst geworden, als eine Einwanderungswelle bisher nicht gekannten Ausmaßes über den Kontinent hereinbrach.
a) Einwanderung
Die Debatte über die Asyl- und Einwanderungskrise wird dabei auf zunehmend unerfreuliche Weise geführt – es regiert nämlich Emotion statt kühler Logik. Befürworter wie Skeptiker nehmen sich in dieser Frage nichts, und so haben wir in Europa heute einen Diskurs, der sich vor allem auf der moralischen Ebene abspielt und verhindert, dass die eigentlichen materiellen Folgen des Prozesses angemessen diskutiert, bewertet und in ihren Folgen abgeschätzt werden können. Der Lärm des Moralisierens übertönt heute in Europa den klaren Gedanken und die kühle Bewertung.
Es regiert die Gesinnungsethik, die im Gegensatz zur Verantwortungsethik eben nicht danach fragt, wozu eine Handlung in ihren Folgen und Wirkungen führt und ob das wünschenswert und ethisch vertretbar ist. Der Gesinnungsethiker ist vielmehr von der Frage besessen, ob sein Handeln denn auch mit einer vorgegebenen Idee übereinstimmt. Wenn eine Handlung in diesem Zusammenhang in „guter Absicht“ begangen wurde und doch katastrophal endet, so ist dies für ihn entschuldbar. Für Max Weber wäre die gegenwärtige Asylkrise ein hervorragendes Studienobjekt gewesen, an dem er die Unterscheide dieser beiden Herangehensweisen hätte auf das Plastischste herausarbeiten können. Sine irae et studio lassen sich jedoch aus den Vorgängen rund um die Asylkrise zwei Trends identifizieren, die für die Zukunft Europas wichtig werden dürften.
Erstens: Deutschland, ein Land mit 80 Millionen Einwohnern, hat seit Januar 2015 und bis auf den heutigen Tag 1,2 Millionen Flüchtlinge und Einwanderer aufgenommen. In anderen Ländern sind diese Zahlen geringer, jedoch die Folgen vielfach noch dramatischer. Beispiel Schweden: Zu Beginn des Jahres 2015 waren von den 8,6 Millionen Schweden eine Millionen im Ausland zur Welt gekommen. Im Jahre 2014 hat Schweden 81 00 Flüchtlinge aufgenommen, 2015 dann 161 000.
Ich glaube, Sie ahnen worauf ich hinaus will. Derartige Einwanderungswellen sind geeignet, die Struktur der Bevölkerung eines Landes nachhaltig zu verändern – extrem nachhaltig! In Luxemburg werden nach Berechnungen der Regierung die Luxemburger ab dem Jahr 2020 eine Minderheit im eigenen Land sein. In Schweden hat die Regierung inzwischen die Notbremse gezogen. Doch es geht nicht einmal so sehr um die schiere Masse der Einwanderung. Viel wichtiger ist, wer da einwandert, und das lässt erhebliche Verwerfungen in der Zukunft erwarten.
Es kommen nämlich vor allem Muslime, schlecht qualifizierte zudem. Die syrischen Ärzte und Wissenschaftler sitzen schon seit 2011 in den USA oder Großbritannien. Wir werden es also zum einen mit einem Kampf der Kulturen im eigenen Lande zu tun bekommen und zum anderen erhebliche Belastungen unserer Sozialsysteme bis hin zu ihrer Überlastung zu erwarten haben. Also: Die Einwanderung wird die Struktur der europäischen Bevölkerung in vielen Mitgliedsländern nachhaltig verändern. Diejenigen, die einmal die Vision eines vereinten Europas entwickelt haben, Vertreter der autochthonen Völker dieses Kontinents, werden damit massiv an Einfluss verlieren. Erste Symptome sind bereits sichtbar. Bei den jüngsten Regionalwahlen in Frankreich ist zum ersten Mal in der Region Il de France eine explizit muslimische Partei angetreten, die den Sprung in die Regionalversammlung aus dem Stand schaffte.
Zweitens: Die Asylkrise hat massive, berechtigte Zweifel an der Stabilität europäischer Verträge und der Vertragstreue und Berechenbarkeit verschiedener EU-Länder geweckt. Die EU kann aber nur funktionieren, wenn Verträge respektiert werden. Zudem kommt der ebenfalls keineswegs grundlose Verdacht auf, Deutschland wolle in der Asylfrage und mittels der Asylfrage eine hegemoniale Rolle in Europa spielen und zementieren.
Die einsamen Entscheidungen der Kanzlerin haben den Dublin-Vertrag zu Makulatur gemacht und Schengen de facto zerstört. Zuerst Millionen Flüchtlinge einzuladen, damit neue Fluchtbewegungen auszulösen und dann von den Europäern zu verlangen, die Folgen gefälligst mit zu tragen, wird heute nicht nur in Mittel-Osteuropa als deutsche Anmaßung verstanden. Wo früher deutsche Knobelbecher knarrten, meint man heute in Warschau, Pressburg und Prag einen deutschen Birkenstocksandalen-Imperialismus zu erleben. Also: Das Vertrauen in europäische Verträge und in die europäischen Partner ist in der Asylkrise massiv gestört worden.
b) Soziopolitische und demografische Entwicklungen
Ein weiterer Megatrend sind zwei soziopolitische und demografische Entwicklungen. Zum einen altert Europa quer über den Kontinent hinweg. Für seine wirtschaftliche Stärke ist das verheerend. Nun könnte man ja sagen, gut, da haben wir ja die ganzen jungen Einwanderer. Hier aber beißt sich die Katze in den Schwanz: Wir haben zwar viele aber die falschen Einwanderer. Das heißt, es kommen eben nicht die hochqualifizierten Techniker, die wir brauchen. Es kommen jetzt vor allem ungelernte Landarbeiter mit miserabler Schuldbildung. Das wiederum bedeutet, dass die schwindende Zahl der Leistungsträger für deren Versorgung auch noch in die Pflicht genommen werden muss.
Zum anderen lösen sich in ganz Europa alte Bindungen, ohne dass ersichtlich wäre, dass sie durch neue ersetzt würden. Die Nation hat als jahrhundertelanger Bezugspunkt der Menschen ausgedient. Ein so viel gepredigter Verfassungspatriotismus vermag diese Bindungskraft nicht zu entfalten. Das Resultat sind Hedonismus und extremer Individualismus, die beide zu politischer Apathie führen. Aber es gibt durchaus auch eine Gegenbewegung, oder besser Gegenbewegungen: Als solche würde ich die konservativen Parteien- und Parteienbündnisse sehen, die überall auf dem Kontinent Erfolge feiern. Es gibt schlicht ein Bedürfnis nach ihnen, was allerdings zu gesellschaftlicher Polarisierung und einem überall verschärften Ton in der politischen Auseinandersetzung führt.
c) Wirtschaftliche Unberechenbarkeit
Ein weiterer Megatrend ist die ökonomische Unberechenbarkeit, mit der sich Europa in den kommenden Jahrzehnten auseinandersetzen muss. Die Zeiten berechenbaren Wachstums und langer Zeiträume von Prosperität sind vorbei. Zum einen liegt das an der ökonomischen Globalisierung, die heute einen Schnupfen Chinas zur Lungenentzündung für Europa werden lassen kann. Zum anderen – das gilt es zu erkennen und zu akzeptieren – verliert Europa in der Welt wirtschaftliches Gewicht. Trotz aller Unkenrufe, ist Amerika nicht zu Grunde gegangen, Asien verfügt über unerschöpfliche Märkte und potentes Humankapital, Russland ist noch immer nicht erwacht.
Zudem ist Europa im Inneren keinesfalls ökonomisch homogen. Die EU umfasst Gebiete, die eher Entwicklungsländern gleichen – wie etwa Bulgarien – und Hightech-Länder wie Deutschland. Ob die Umverteilung zwischen Reich und Arm in einer möglichen schweren Wirtschaftskrise weiter so geräuschlos funktioniert, wage ich zu bezweifeln. Unter der Wasseroberfläche schlummern darüber hinaus noch immer unabsehbare Risiken.
Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass die Finanzkrise etwa ausgestanden wäre. Es wurde Zeit erkauft, nicht mehr. Doch es wird der Tag kommen, an dem sie mit aller Macht zurückkehrt, die Deutschen feststellen müssen, dass ihre Rettungspakete vergeblich waren und das Geld unwiederbringlich verschwendet wurde. Aber es ist eben nicht nur Griechenland: In allen Ländern – auch in Deutschland – liegt die Staatsverschuldung jenseits von Gut und Böse. Mit einer extremen Niedrigzinspolitik und verzweifelten Versuchen, diese Schulden weg zu inflationieren, geht die europäische Währungspolitik gefährliche Risiken ein. In Südeuropa ist man derartige Währungspolitik ja gewohnt, Österreicher und Deutsche werden ihr nun aber ebenfalls ausgesetzt, und deren Trauma ist nun mal hohe Inflation. Zudem spielen die EU Finanzpolitiker mit den Ersparnissen und damit der Lebensleistung der Menschen. Vertrauensverlust ist schon jetzt die Folge. Wut und Unfrieden dürften hinzukommen, wenn die Dinge eskalieren.
Auf die ökonomische Unberechenbarkeit zahlt im Übrigen auch ein mentaler Trend ein – die Marktwirtschaft hat massiv an Ansehen verloren. Kapitalismuskritik ist in Mode und der Unternehmer, der doch alle Risiken eingeht, gilt vielen als Schuft und Ausbeuter wie einst im DDR-Sozialismus. Dabei hat doch nur die Marktwirtschaft die massive Wohlstandsvermehrung im vergangenen Jahrhundert möglich gemacht. Alle staats-interventionistischen Systeme sind hingegen vollständig gescheitert. Dieser mentale Trend führt dazu, dass technisch-ökonomischer Wandel, Freihandel und wirtschaftliche Freiheit heute keine Konjunktur haben. Man betrachte nur das Theater, das sich regelmäßig um Großprojekte abspielt, man betrachte nur die Widerstände gegen das Freihandelsabkommen TTIP. All das kann dazu führen, dass sich Europa selbst von wichtigen ökonomischen Trends abkoppelt und den Anschluss an den Rest der Welt verliert.
d) Eigenleben der europäischen Institutionen
Ein vierter Megatrend ist die Institutionalisierung Europas. Wir beobachten heute die Schaffung und Ausdehnung staatlicher Institutionen auf EU-Ebene. Zudem bekommen diese Institutionen laufend neue Kompetenzen von den Nationalstaaten übertragen. Das stabilisiert zwar zum einen das Konstrukt EU – führt aber zum anderen zu immer mehr Zentralisierung mit allen negativen Nebenwirkungen wie sie etwa in Frankreich zu beobachten sind. Das Wort vom „Raumschiff Brüssel“, das zwar alles bestimmt aber weit über dem wirklichen Leben schwebt, gehört hier hin.
Mehr Institutionen bedeuten auch mehr Bürokratie, langsame Reaktionszeiten und höhere Kosten. Zu bedenken ist auch noch eine weitere Eigenschaft von Bürokratien: Einmal existent dehnen sich fortwährend aus und verteidigen ihre Existenz gegen alle Reformbestrebungen mit Nachdruck. Also: Wir erleben einen Zentralisierungsprozess, dessen Ende nicht abzusehen ist.
e) Volatiles außen- und sicherheitspolitisches Umfeld
Ein fünfter und letzter Megatrend ist das volatile außen- und sicherheitspolitische Umfeld Europas. Noch weniger als in der Wirtschaft ist hier irgendetwas berechenbar. Die Zeiten des Kalten Krieges scheinen im Vergleich zur heutigen Situation als berechenbar, klar und durchschaubar. Es gab damals eben zwei Blöcke, die sich im Zweifelsfall als Feinde betrachteten. Den Rest der Welt konnte man über das Verhältnis zu Ost und West leicht einordnen. Die Zusicherung gegenseitiger Vernichtung im Falle eines Krieges zwischen den Blöcken machte den großen Konflikt ziemlich unwahrscheinlich. Stellvertreterkriege wurden zwar geführt, jedoch nur in der Peripherie, und im Grunde störten sie auch das Leben innerhalb der Blöcke nicht groß. Damit ist es vorbei, und das zeigt sich besonders, wenn man die wichtigsten Nachbarn der EU betrachtet: Russland und den arabisch-islamischen Mittelmeerraum.
Russland ist ohne Zweifel der wichtigste und mächtigste Nachbar Europas. Darüber dürfen auch die zyklischen Krisen in diesem Land nicht hinwegtäuschen. Russland hat – und das ist seine unzweifelhaftes Kapital – fast unerschöpfliche Rohstoffvorräte, eine außerordentlich kreative Bevölkerung, und es ist eine wichtige militärische Macht. Zurzeit sieht alles nach einem neuen Kalten Krieg zwischen Europa und Russland aus. Allerdings pflegen die Beziehungen zu Russland sich in Wellenbewegungen zu entwickeln. Es ist also durchaus auch eine Phase der Entspannung und Zusammenarbeit denkbar. Viel hängt dabei von der inneren Entwicklung im Osten ab. Damit ist kein Regime-Change gemeint, vielmehr ist ja auch eine Kurskorrektur durch das putinsche Establishment denkbar. Vielleicht erkennt man aber auch im Westen, dass man mit Russland anders umgehen muss als bisher, dass eine Großmacht als solche behandelt werden will und dass insbesondere die Ukraine nicht das strahlende, moralisch immer überlegende Reich des Guten ist, als dass es in vielerlei politischen Kreisen in Deutschland betrachtet wird. Es wäre sicher auch an der Haltung der europäischen Eliten zu arbeiten – da findet sich doch eine ausgeprägte Russophobie, die nicht von den alten Zeiten lassen will. Ohne Zweifel haben russische Eliten in der Zeit seit 1991 viel größere Offenheit und viel größeres Interesse am Westen gezeigt als umgekehrt. Nur eine Frage: In wie vielen deutschen Schulen wird heute noch Russisch gelehrt?
Ebenso fundamental für Europa ist das Verhältnis zur Mittelmeerregion, was im Grunde das Verhältnis zur islamischen Welt ist. Noch für Jahrzehnte wird diese Region wichtig sein – vor allem wegen des Öls – da helfen alle Energiewenden nichts. Aus diesem Grund hat Europa ein strategisches Interesse in der Region. Darüber hinaus – und auch das gilt es, ohne Scheuklappen festzuhalten – ist die islamische Welt jedoch auch die Quelle einer erheblichen Bedrohung Europas, wenn nicht gar der gefährlichsten. Der islamische Irrationalismus, der sich in verschiedenen Jihad-Bewegungen äußert, hat Europa fest im Visier. Zudem ist das Scheitern von Staaten heute in dieser Region kein Einzelfall mehr, sondern es wird mehr und mehr zur Regel. In den kommenden Jahren werden sich diese Prozesse beschleunigen. Was in dem Moment geschieht, in dem das Öl alle ist, oder es als strategischer Rohstoff seine Bedeutung verloren hat, mag man sich nicht vorstellen. Dann nämlich fallen alle innerislamischen und innerarabischen, noch stabilisierend wirkenden Klientel-Beziehungen, die vor allem durch Petrodollar aufrechterhalten werden, in sich zusammen. Gegen einen solchen Zusammenbruch werden die heurigen Verhältnisse wie ein laues Lüftchen wirken. Für die islamische Welt vermag ich Ihnen leider keine positive Alternative aufzuzeigen – weil ich schlicht keine sehe. Wir werden wohl mit Chaos und Unordnung an unseren südlichen Grenzen leben müssen.
Das alles paart sich mit einer zunehmenden sicherheitspolitischen Impotenz Europas. Man muss ganz klar festhalten: Europa war und ist nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Nur die USA garantieren heute letztlich seine Sicherheit, so wie das seit 1945 schon immer war. Dieser Trend zu militärischer Machtlosigkeit wird sich fortsetzen, und zwar aus zwei Gründen, deren einer den anderen bedingt.
Verschiedene Soziologen, Politikwissenschaftler und Historiker glauben, dass wir heute in einer so genannten „postheroischen Gesellschaft“ leben. Das heißt, die Mitglieder der Gesellschaft sehen im Militärischen und im persönlichen Opfer für die Gesellschaft keinen Wert mehr. Das trifft sogar zu, wenn das Umfeld feindselig ist. Auf die Dauer unterminiert diese Einstellung die Selbstverteidigungsfähigkeit einer solchen Gesellschaft. Ein Symptom für diese „postheroische Gesellschaft“ ist zum Beispiel die vielfältig zum Ausdruck kommende Verachtung der Bundeswehr in Deutschland. Vielerorts will man diesem Verfassungsorgan heute etwa verbieten, in Schulen zu werben. Wenn eine Gesellschaft aber so tickt wird sie nicht bereit sein, für ihre Verteidigung die notwendigen Mittel aufzuwenden. Wir können das heute im Falle der Bundeswehr beobachten.
Das ist ein Zustand, der insbesondere in Westeuropa weit verbreitet ist. In Osteuropa liegen die Dinge noch etwas anders – dort fühlt man eine vermeintliche oder auch reale russische Bedrohung, die dem Militärischen in der Gesellschaft einen anerkannteren Platz sichert.
Fakt ist darüber hinaus: Europa, der EU, ist es noch nie gelungen, einen bedrohlichen Konflikt aus eigener Kraft zu beenden. Wir erinnern uns an die Ereignisse auf dem Balkan – erst als die Amerikaner eingriffen, war dort Ruhe. Zusammenfassend kann man zu diesem Megatrend also sagen: Wir haben ein Europa, das immer weniger fähig ist, militärisch abzuschrecken und Konflikte zu beenden in einem Umfeld, das bestenfalls unberechenbar ist, im Grunde aber immer gefährlicher wird
2. Szenarien
a) Krieg
Lassen Sie mich nun zu den möglicherweise zu erwartenden Szenarien kommen. Zunächst aber eines, das ich für ausgeschlossen halte, das aber häufig beschworen wird. Ich meine damit das Szenario eines großen europäischen Krieges. Wir erinnern uns an die Worte der Kanzlerin während der jüngsten ökonomischen Turbulenzen: „Scheitert Griechenland, scheitert der Euro, scheitert der Euro, scheitert Europa“, hieß es da. Und wenn Europa scheitere, dann bedeute das militärische Auseinandersetzungen, denn schließlich hätte „Europa in den vergangenen Jahrzehnten den Frieden gesichert“. In die gleiche Kerbe schlug vor wenigen Tagen angesichts der Asylkrise der französische Ökonom und Präsidentenberater Jacques Attali. Er sagte in einem TV-Interview, er fürchte angesichts aktueller Spannungen in der Europäischen Union langfristig um den Frieden in Europa: „Ich bin überzeugt: Wenn wir weitermachen wie jetzt, wird es vor Ende des Jahrhunderts einen neuen französisch-deutschen Krieg geben.“
Meine Damen und Herren, ich halte das für schlicht und einfach für interessengesteuerte Panikmache, die Angst verbreiten soll. Zunächst gib es angesichts zweier Megatrends, über die ich vorhin sprach, in Europa heute so gut wie niemanden mehr, der einen großen Krieg zwischen den europäischen Nationen führen würde. Da ist zum einen der Verlust der Nation als Identifikationspunkt und zum anderen die postheroische Gesellschaft, in der die Bereitschaft als Soldat in den Krieg zu ziehen, gegen Null geht. Nun mag man sagen, wir erleben eine Renationalisierung. Davon, ehrlich gesagt, merke ich vor allem unter den jüngeren Europäern eher wenig. Zudem fehlt derartigen Tendenzen vollständig der chauvinistische Furor, wie wir ihn zu Beginn des Ersten und auch des Zweiten Weltkriegs erleben konnten. Ganz im Gegenteil.l Die so genannten Nationalen Kräfte kooperieren heute selbst quer über die europäischen Grenzen hinweg. Zu besichtigen ist das etwa in den Fraktionen des Europäischen Parlamentes. Auch sie haben die Vorteile einer europäischen Friedensordnung durchaus erkannt. Ihre Abgrenzungsbestrebungen richten sich nach außen. Nationalismen wie in Schottland oder in verschiedenen spanischen Regionen gehen heute in der Regel friedliche Wege, selbst ETA und IRA haben ihren terroristischen Kampf aufgegeben.
Zudem beruht die von Frau Merkel aufgemachte Gleichung auf einer bewussten historischen Täuschung des Publikums. Es war nämlich keineswegs Europa oder die EG oder die EU, die während des kalten Krieges in Europa den Frieden gesichert haben. Es war die NATO, es waren die Amerikaner. Nur durch das viel gescholtene Gleichgewicht des Schreckens ist es nicht zu einem Atomkrieg zwischen den Blöcken gekommen. Es waren die Amerikaner, die Europa unter ihren Schutz und Schirm genommen haben. Ein „Friedenswerk“ war die EU niemals. Das ist eine ideologische Überhöhung, ein nachträglich umgehängtes Mäntelchen, das zur Legitimation dieser Organisation dient.
Die Angstmacherei vor einem großen Krieg in Europa ist in diesem Zusammenhang von ganz offensichtlichen Interessen getragen. Es geht darum, der EU den Nimbus der Unverzichtbarkeit zu verleihen. Wenn es gelänge in die Köpfe der Europäer die Gleichung „keine EU = Krieg“ einzupflanzen, wäre das ein schwerer Schlag gegen alle Denkschulen, die sich eine Zukunft auch ohne diese Organisation vorstellen könnten. Das Wort „Krieg“ ist also politische Propaganda, die einen bestimmten Zweck verfolgt, ein Gespenst, das Angst machen soll. Mit einer Prognose, die auch nur einigermaßen eine mögliche Zukunft beschreibt, hat diese Argumentationslinie, das Gerede vom Krieg, nichts, aber auch gar nichts zu tun.
Das bedeutet nun nicht, dass ich die EU für etwas Ewiges, Unveränderliches halte. Wir alle in diesem Saal haben genug Geschichte miterlebt, um zu verstehen, dass selbst die stärksten, monolithischsten, unzerstörbar erscheinenden politischen und staatlichen Strukturen plötzlich verschwinden können. Denken wir an das Dritte Reich, denken wir an den Ostblock. Dieses Phänomen zieht sich aber durch die gesamte Geschichte, siehe Römisches Reich, siehe Arabisches Kalifat, siehe Osmanisches Reich. Die Rede von einem „Ende der Geschichte“ einem paradiesischen Zustand, der ewig währt, ist damit als Irrtum enttarnt. Ich halte also ein Verschwinden der EU – oder eine Veränderung dieser Struktur zu etwas das zwar den Namen noch trägt, aber einen völlig anderen Kern besitzt – angesichts unserer Megatrends für absolut möglich. Allerdings würde ich in einem solchen Fall eher an eine Art friedliche Scheidung glauben. Mit viel Phantasie aber unter Beachtung unserer Megatrends könnte das so aussehen.
b) Scheidung in Freundschaft
Stellen wir uns also das Jahr 2036 vor: In Großbritannien feiert man in diesem Jahr den zehnten Jahrestag des Austritts aus der Europäischen Union. Die Benelux-Staaten, Deutschland, Österreich, Tschechien, Polen, die baltischen Länder, die Slowakei und Ungarn feiern den Tag, an dem ihre gemeinsame Währung – die für ihre Stabilität berühmte europäische Krone – zur Weltreservewährung geworden ist. Der Rest des Kontinents ist zu eigenen Währungen zurückgekehrt, Europa ist ökonomisch durch eine Freihandelszone verbunden. Die NATO ist das einigende Band einer gemeinsamen Verteidigung. Ansonsten bestimmt jedes Land über sein eigenes Schicksal. Sozial- und Bildungspolitik sowie der Grenzschutz und die Einwanderungspolitik werden vor Ort entschieden. Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament wurden schon 2030 aufgelöst, die nationalen Parlamente bestimmen den Kurs, gemeinsame Belange verhandeln die Regierungen aus.
Im Jahre 2016 hatten sich noch über die Hälfte der Briten für einen Verbleib des Landes in der EU ausgesprochen. Premierminister David Camaron hatte damals Zugeständnisse für Großbritannien auf den Feldern Einwanderung, Währung und Wirtschaft herausgeholt, die den meisten Briten ausreichend erschienen. Im Übrigen waren weite Kreise des Landes davon überzeugt, dass ohne eine EU-Mitgliedschaft die britische Wirtschaft schwer leiden würde. Der Jubel in Brüssel und Berlin war laut aber kurz. Kurz, weil sich in den Jahren nach 2016 die zentrifugalen Tendenzen innerhalb der EU vervielfachten.
Bis 2020 zeigte sich, dass die EU als Ganzes nicht in der Lage war, die Grenzen effektiv zu schützen. Zwar war der Krieg in Syrien zu einem Ende gekommen, weil man eine Verständigung mit Russland erreicht hatte – doch nun strömten Millionen Afrikaner nach Europa. Die Debatte, ob eine derartige Einwanderung wünschenswert sei, erledigte sich schnell, denn man hatte der Tatsache ins Auge zu sehen, dass Europa am Ende seiner Kräfte angelangt war. Nur in Brüssel und Berlin, wollte man das nicht begreifen.
Immer mehr Länder schlossen ihre Grenzen, das Schengen-Abkommen wurde zu einem leeren Stück Papier. Unterdessen brach 2022 das europäische Finanzsystem zusammen. Alle Tricks, die maroden Etats von Griechenland, Frankreich, Portugal, Spanien und Italien über die Notenpresse zu sanieren waren gescheitert. All diese Länder mussten Staatsbankrott anmelden und traten in der Folge eines nach dem anderen aus dem Euro aus. Die Nordstaaten sahen sich mit Verbindlichkeiten aus der Eurozeit überlastet. 2023 wurde der Euro in einer geheimen, konzertierten Aktion an einem Sonntag abgeschafft. Die wirtschaftlich stärksten Staaten führten eine neue Währung ein – eben die Krone.
Dieser Vorgang ging mit massiven sozialen Verwerfungen einher. Auch in Deutschland sank das Wohlstandsniveau. Zudem verlor Europa durch fortschreitende Überregulierung der Wirtschaft den Anschluss an die Welt. Arbeitslosigkeit und Depression waren die Folge. In Europa machte sich eine Stimmung breit, die den Deutschen die Schuld an dem Debakel gab. Über den Kontinent hinweg gewannen separatistische Parteien an Einfluss. Die skandinavischen Länder trennten sich schon 2024 nach Volksabstimmungen von der EU. 2026 folgte Großbritannien. 2030 entschlossen sich die verbliebenen EU-Staaten zu einer Volksabstimmung über den Erhalt der EU. Nur etwas über die Hälfte der Menschen nahm daran teil, insbesondere die schnell eingebürgerten Neueinwanderer hatten andere Probleme. Die Befürworter der Auflösung gewannen die Abstimmung, die Staaten der Kronen-Währungsunion gründeten 2032 einen neuen europäischen Bund, der die Fehler der alten EU vermeiden sollte.
Ein gänzlich entgegengesetztes, aber ebenso mögliches Szenario wäre die Entwicklung des EU zu einem imperialen Zentralstaat.
b) Imperialer Zentralstaat
In diesem Fall möchte ich weniger Kino im Kopf bemühen als eben. Die Linien dieser Entwicklung sind nämlich schon deutlicher zu sehen als im Scheidungsszenario. Zum einen ist diese Entwicklung das erklärte Ziel der Brüsseler EU-Bürokratie und vieler europäischer Politiker. Das Schlagwort ist hier „immer engere Union“. Der politische Prozess besteht in der Verlagerung nationaler Befugnisse nach Brüssel und der schrittweisen Aufgabe nationaler Befugnisse. Kommissionspräsident Jean Claude Juncker hat das Vorgehen der Brüsseler Eliten in diesem Prozess einmal außerordentlich ehrlich und plastisch beschrieben:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob etwas passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter. So lange, bis es kein Zurück mehr gibt.“ (Spiegel 52/1999, 27. Dezember 1999, S. 136)
Wir beobachten in den vergangenen Jahren eine Beschleunigung der Zentralisierung politischer Entscheidungen in Brüssel. Diese politische Zentralisierung wird als Allheilmittel für Lösung der in den Megatrends skizzierten Probleme gesehen. Es ist im Grunde die Überzeugung der Technokraten, mit zentraler Steuerung und Planung, alles zum Guten zu wenden. Dass allerdings Zentralismus einem Staat nicht zum Guten gereicht, können wir am maroden Frankreich der Gegenwart sehen. Dass zentrale Planung ins Elend führt, lehrt uns die Kommandowirtschaft des Ostblocks.
Wie also sieht unser hypothetisches Europa 2036 aus? Vielleicht so: In Brüssel sitzt eine paneuropäische Zentralregierung. Das Europaparlament beschließt Gesetze, die für die gesamte EU gelten. Die nationalen Parlamente sind 2025 abgeschafft worden. In den europäischen Regionen gibt es stattdessen Regionalvertretungen, die allerdings – nach französischem Vorbild – weniger Befugnisse haben als unsere Ländervertretungen. Die deutschen Bundesländer sind aufgelöst worden, Niedersachsen wurde so zu den Regionen Friesland, Oldenburg und Hannover. Die nationalen Regierungen fungieren nur noch als Exekutivstellen der Zentralregierung.
Der Prozess hatte sich bis 2036 schleichend vollzogen. Die meisten Entscheidungen gingen ohne Volksabstimmungen über die Bühne. Mit künstlicher Inflation von jährlich 30 Prozent hatte Brüssel schließlich die Schuldenkrise gelöst. In Folge dieser Maßnahmen verloren vor allem viele Menschen in den wohlhabenden Ländern ihre Altersversorgung und vielfach ihren Besitz. Das Wohlstandsniveau glich sich EU-weit auf dem Niveau Spaniens an.
Seit 2035 sind jedoch überall in Europa separatistische Tendenzen zu spüren. Da sie durch das europaweite Wahlsystem keine Chance auf parlamentarische Vertretung haben, bilden sich außerparlamentarische Oppositionen. Hier und da wird bereits geschossen. Zudem wehrt sich die bestens organisierte muslimische Bevölkerung in Europa gegen den Säkularismus der EU-Regierung.
Außenpolitisch hat sich Europa der USA entfremdet. Nun steht man in Konkurrenz zu einem erstarkten Russland, das seine Interessen mit Amerika und China abgegrenzt hat, sowie mit den Vereinigten Staaten. Europa geht auf dem Weg zur Jahrhundertmitte unruhigen Zeiten entgegen.
Noch einmal: So könnte es kommen, muss aber nicht. Das trifft auch für das letzte Szenario zu, dass ich Ihnen entwerfen will. Das Szenario eines reformierten Europas der Vaterländer. Wieder versetzen wir uns in Gedanken ins Jahr 2036.
c) Reformiertes Europa der Vaterländer
Im Sommer 2036 treffen sich in Brüssel die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Im Gepäck haben sie die Zustimmung ihrer Parlamente für eine spektakuläre politische Entscheidung. Selbst der türkische Ministerpräsident hat die Nationalversammlung in Ankara zur Zustimmung bewegen können. Am größten wer der Widerstand im Warschauer Sejm – doch nun ist es soweit. Die Versammlung beschließt den Beitritt Russlands zur Europäischen Union.
Im Jahre 2016, als der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union gerade eben noch einmal verhindert werden konnte, hätte das noch niemand für möglich gehalten. Es wurde möglich, weil sich zwei Trends dieser Zeit in eine bestimmte Richtung entwickelten. Zum einen gelang es gemeinsam mit Russland, den Syrien-Konflikt zu entschärfen. 2018 wurde eine Einigung über die Ukraine gefunden. 2022 halfen russische Truppen den völlig überforderten Europäern einen Bürgerkrieg zu beenden, der den gesamten arabischen Raum und Teile Afrikas in Brand gesetzt hatte. Die unter Präsident Putin gestärkte russische Wirtschaft profitierte von den politischen Liberalisierungen seiner Nachfolger.
Zum anderen hatte sich die EU im Inneren stark verändert. In der Asylkrise der Jahre 2015 bis 2020 hatte sich der Versuch einer zentralen Steuerung als wirkungslos erwiesen. Zudem platzte 2021 die Staatsschuldenblase. Verschiedene Länder in Südeuropa sowie Frankreich verließen die Eurozone. 2036 existierten in Europa schließlich der Euro sowie verschiedene nationale Währungen. Die EZB in Frankfurt ist zu strikter währungspolitischer Unabhängigkeit zurückgekehrt.
Die massive Einwanderung, die unterschiedliche demographische Entwicklung und das Scheitern aller Versuche, die wirtschaftlichen Verhältnisse in Europa auszugleichen, zudem das Scheitern einer einheitlichen Sozialpolitik, haben die Brüsseler Institutionen – das europäische Parlament und die Kommission – zutiefst diskreditiert. In ganz Europa waren 2023 die Menschen auf den Beinen, um gegen Brüssel zu demonstrieren. Aus diesen Demonstrationen bildete sich eine paneuropäische Bewegung, die 2025 zur „Paneuropäischen Reformpartei“ wurde. Diese Partei gewann in mehreren Ländern spektakulär nationale Wahlen und errang schließlich im Europäischen Parlament die absolute Mehrheit.
Dieser massive politische Erdrutsch führte zu tief greifenden Reformen. Die EU wurde zurückgebaut. Das Europäische Parlament aufgelöst, die Kommission zu einer reinen Verwaltungs- und Dienstleistungseinheit umgebaut. Sozial- Umwelt- und Verbraucherpolitik sowie viele andere Politikfelder wurden konsequent auf die nationalen Ebenen zurück übertragen. Die Union wurde hingegen in Fragen des Freihandels, der Außen- und Verteidigungspolitik immer enger. Letztlich führte die konsequente Einführung subsidiärer Elemente, das Zulassen von Unterschieden zu nie gedachten Erweiterungsmöglichkeiten, die darin kulminierten, dass 2036 der gesamte Kontinent, einschließlich Russlands und der Türkei in der EU vereinigt sind.
Meine Damen und Herren,
all diese Szenarien sind natürlich nur drei aus einer unendlichen Anzahl von Möglichkeiten. Wir können davon ausgehen, dass sie in ihrer Reinform wohl kaum eintreten werden. Ich bin aber sicher, dass sie in ihrer abstrakten Beschreibung die drei wahrscheinlichsten Möglichkeiten der zukünftigen Entwicklung abbilden. So wie ich die Dinge sehe, stehen wir vor der Wahl, ob wir eine Scheidung in Freundschaft, einen imperialen europäischen Zentralstaat oder ein reformiertes Europa der Vaterländer erleben werden. Angesichts der zu Beginn skizzierten Megatrends ist all das möglich. Es kommt nun darauf an, wie die Kräfteverhältnisse sich entwickeln.
Welche Entwicklung hingegen wünschenswert ist, dass muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich habe diese Frage in meinem Vortrag auch bewusst ausgeklammert, spielen hier doch persönliche Erfahrungen, Überzeugungen und Einstellungen eine Rolle, die sich einer objektiven Bewertung vielfach entziehen. Über das Wünschenswerte einer bestimmten Entwicklung, diskutiert man wohl lieber auf Augenhöhe. Vielleicht ja jetzt.