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Gelegentliche Texte

Worte wie Projektile (4) – „Solidarität“

So viel Konflikt war selten: In Deutschland bilden sich politische Fronten, wie noch nie nach 1945. Carl Schmitt würde sich bestätigt fühlen – die Freund-Feind-Kategorien ist jetzt Maßstab alles Redens und Handelns. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen. Es geht darum, ihn zum Schweigen zu bringen. Hier werden Begriffe zu Waffen. Scharf aufgeladen sind sie die tödlichen Projektile an der Front des geistigen Bürgerkriegs. Heute: ,,Solidarität“

„Solidarität“ ist in der Gesinnungsterminologie eines der am meisten missbrauchten Worte. Das gilt auch für die Umkehrung. Wer als „unsolidarisch“ gebrandmarkt wird, ist damit praktisch aus der Gemeinschaft der Rechtschaffenen ausgeschlossen.

Dabei ist Solidarität im Grunde eine wirklich gute Sache. Sie bezeichnet letztlich die auf Gemeinschaftsgefühl begründete gegenseitige Unterstützung von Mitgliedern einer Gruppe. Der deutsche Soziologe Alfred Vierkandt hatte das bereits 1928 erkannt. Er beschrieb damals „Solidarität“ als „die Gesinnung einer Gemeinschaft mit starker innerer Verbundenheit“ als das „Zusammengehörigkeitsgefühl, das praktisch werden kann und soll“. Grundvoraussetzung war für Vierkandt allerdings absolute Freiwilligkeit.

Was bei Vierkandt analytisch daherkommt, entwickelte sich auf der Linken zu einem Popanz, der mit der mit der Umdeutung des Wortes einher ging. Der Irrsinn wurde dabei so weit getrieben, dass man den Begriff teilweise regelrecht sexuell auflud. In der DDR war davon die Rede, „Solidarität“ sei die „Zärtlichkeit der Völker“. „Solidarisches Verhalten“ bezeichnete im Jargon des K-Gruppen-Milieus in der Regel die unbedingte Unterstützung der Führung einer politischen Gruppe. „Unsolidarisch“ war das Geschoss, mit dem man innere Kritik erledigte. Das funktioniert auch heute noch – zum Beispiel in der SPD.

Jedoch ist heute „Solidarität“ vor allem ein moralisch aufgeladener Euphemismus für „Enteignung“.  Wenn  X von Y „Solidarität“ fordert, meint das in der Regel, Y soll gefälligst etwas von seinem Eigentum abgeben – und zwar an diejenigen, die X als Empfänger festlegt. X nimmt dabei eine vermeintlich moralische Position ein, denn wer sollte jemanden nicht als einen von den „Guten“ betrachten, wenn er doch Gemeinschaftsgeist und Gemeinschaftssinn fordert? Er müsste ja ein Unmensch sein.

So ist viel vom „solidarischen Grundeinkommen“ die Rede. „Solidarisch“ wäre daran, dass diejenigen, die ihren Lebensunterhalt mit Arbeit verdienen, auf Teile ihres Einkommens verzichten, um diejenigen zu versorgen, die nicht arbeiten wollen. Dabei wird das wichtigste Merkmal echter Solidarität außer Kraft gesetzt: die Freiwilligkeit, die sich aus innerer Verbundenheit ergibt.

Auf Freiwilligkeit basiert nämlich keine dieser Ideen, die da als „solidarisch“ gerechtfertigt werden. Das zeigt sich auch bei einem der größten Ärgernisse in diesem Land: dem „Solidaritätszuschlag“. Diesen zwangsweisen Aufschlag auf die Einkommenssteuer gebar die pure Not, nicht innere Verbundenheit der West- mit den Ostdeutschen. Letztere üben übrigens seit Beginn an Solidarität mit sich selbst, denn auch sie zahlen den „Soli“ – was im Westen gern übersehen wird.

Weiteres Beispiel: die „solidarische Lebensleistungsrente“, die heute Grundrente heißt. Wer nicht genug in die Rentenkasse eingezahlt hat, soll trotzdem etwas aus ihr bekommen. Bezahlen müssten das – unfreiwillig – Beitrags- und Steuerzahler. Wenn die SPD-Chefin Andrea Nahles also sagt:

„Ich möchte, dass die SPD wieder die Kraft wird für den solidarischen Zusammenhalt unseres Landes.“

Dann meint sie damit in Wirklichkeit umfassende, zwangsweise Umverteilung im Lande. Der Begriff „solidarisch“ ist absurd, denn von freiwilliger, aus innerer Verbundenheit motivierter Unterstützung anderer kann keine Rede sein.

Dabei gilt es zu bemerken, dass die deutsche Linke – also diejenigen, die maßgeblich für die Auflösung traditioneller Bindungen wie Nation, Kirche oder auch Familie verantwortlich sind – nun die in diesen Gruppen zumindest teilweise herrschende freiwillige Solidarität durch Zwangssolidarität ersetzen müssen. Bindungen allerdings lassen sich nicht oktroyieren. Es ist nicht moralisch verwerflich, kein Zusammengehörigkeitsgefühl mit einem afghanischen Asylbewerber zu empfinden und keine Solidarität mit ihm zu üben. Warum auch? Hier sollte man sich kein schlechtes Gewissen einreden lassen.

Merke: Wer in der Politik heute von „Solidarität“ redet, meint damit keine freiwillige gegenseitige Unterstützung. „Solidarität“ bemäntelt moralisch einen Akt der Enteignung, einen Akt der Gewalt. Wer zur „Solidarität“ aufgefordert wird, erhält in Wirklichkeit eine Ermahnung, sich widerstandslos enteignen zu lassen. Damit geht implizit die Drohung einer moralischen Verurteilung bei Widerspruch einher.  Man scheue sich nicht, dies beim Namen zu nennen und sich als „unsolidarisch“ zu bekennen. Die versteckt angedrohte Gewalt wird spätestens in der Reaktion auf dieses Bekenntnis offenkundig werden.

 

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Worte wie Projektile (3) – „Respekt“

So viel Konflikt war selten: In Deutschland bilden sich politische Fronten, wie noch nie nach 1945. Carl Schmitt würde sich bestätigt fühlen – die Freund-Feind-Kategorien ist jetzt Maßstab alles Redens und Handelns. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen. Es geht darum, ihn zum Schweigen zu bringen. Hier werden Begriffe zu Waffen. Scharf aufgeladen sind sie die tödlichen Projektile an der Front des geistigen Bürgerkriegs. Heute: „Respekt“.

„Respekt“ verlangt heute jeder Hühnerdieb. Ob Kevin oder Justin, ob Ali oder Ahmed – selbst wenn sie mit einem Bein im Jugendknast stehen – „Respekt“ fordern solche  Figuren immer ein. Nur – warum soll man ihnen Wertschätzung, Anerkennung, Aufmerksamkeit oder Hochachtung entgegenbringen? Ausschließlich weil sie existieren?

Das ist natürlich Unfug. Der Respekt vor einem Menschen oder auch einer Institution bemisst sich völlig natürlich nach den Handlungen. Wer sich ehrlos verhält, verdient keinen Respekt. Eine Institution, die Menschen Schaden zufügt ebenso wenig. Während aber selbst Menschen, die jeden Respekt verspielt haben, ihre ihnen natürlich zustehenden Menschenrechte behalten, sieht das im übertragenen Sinne im Falle von Institutionen ganz anders aus. Zum Sturz oder zur Auflösung derartiger Einrichtungen darf man mit gutem Recht aufrufen, sich um ihre Beseitigung bemühen.

In der politischen Debatte hat „Respekt“ jedoch eine völlig andere Bedeutung erlangt. Wer „Respekt“ für irgendetwas oder irgendjemanden fordert, will ihn heute in aller Regel von jeglicher Kritik ausnehmen. Als „respektlos“ wird dann im Gegenzug jegliche Kritik an Taten oder Eigenschaften gebrandmarkt. „Respekt“ ist in der Politik so etwas wie ein Naturschutzzeichen geworden: Es wird überall dort angenagelt, wo man Tabus schaffen will – sei es bei der Einwanderung, sei es in der Genderideologie, sei es in der Hartz-IV-Diskussion, sei es bei der Kritik an Parteien oder staatlichen Einrichtungen oder religiösen Praktiken. Besonderes letzteres ist sehr in Mode, wenn es um den Islam geht.

Allerdings funktioniert die Sache mit dem „Respekt“ ausschließlich als Einbahnstraße. Dem politischen Gegner wird man nämlich in der Regel keinen „Respekt“ erweisen, sondern ihn darf man nach Lust und Laune bekämpfen, diffamieren und verunglimpfen. Das gilt übrigens für alle politischen Richtungen gleichermaßen und insbesondere für die Extreme. Der Neonazi wie der Antifa-Schläger fordert „Respekt“ für sich, seine Gruppe und deren Überzeugungen. Wer außerhalb steht, hat den nicht zu erwarten – nicht einmal den Respekt seiner körperlichen Unversehrtheit, der selbst dem verworfensten Übeltäter und ehrlosesten Schweinehund zusteht.

Merke: Wer in der politischen Welt „Respekt“ fordert, will in der Regel ein Tabu schaffen. Die Forderung nach „Respekt“ ist defensiv und gleichbedeutend mit dem Verlangen einen Vorgang, eine Institution oder einen Akteur mit Kritik zu verschonen, ein Tabu zu etablieren. Wird dir Respektlosigkeit vorgeworfen, bist du oft auf dem richtigen Weg zur Wahrheit. Wird „Respekt“ gefordert, lohnt es in der Regel, eine weitere Breitseite abzuschießen. Hier ist die Festung bereits morsch.

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