Worte wie Projektile (5) – „Gerechtigkeit“

by Alexander Will

So viel Konflikt war selten: In Deutschland bilden sich politische Fronten, wie noch nie nach 1945. Carl Schmitt würde sich bestätigt fühlen – die Freund-Feind-Kategorien ist jetzt Maßstab alles Redens und Handelns. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen. Es geht darum, ihn zum Schweigen zu bringen. Hier werden Begriffe zu Waffen. Scharf aufgeladen sind sie die tödlichen Projektile an der Front des geistigen Bürgerkriegs. Heute: „Gerechtigkeit“

Gerechtigkeit ist seit jeher einer der am intensivsten missbrauchten politischen Begriffe. Wie in so vielen anderen Fällen liegt auch hier die Bedeutung ausschließlich im Auge des Betrachters. Objektive Maßstäbe gibt es nicht. Genau deswegen tobt der Kampf um die Definitionshoheit mit so viel Leidenschaft. Gern ergänzt wird „Gerechtigkeit“ durch „sozial“, und hier liegt der Hase im Pfeffer. Gewöhnlich öffnet sich damit nämlich eine Tür zu Umverteilung und damit einhergehender Enteignung.  Wenn dann auch noch von „Bedürfnisgerechtigkeit“ die Rede sein sollte, ist schrillster Alarm angebracht. Da geht es dann nur noch darum, eine Rechtfertigung zu finden, die vermeintlich gerechten Bedürfnisse einer Gruppe auf Kosten einer anderen zu befriedigen. Bei solchen populistischen Manipulationen bestimmt natürlich immer derjenige, was denn nun „gerechte“ Bedürfnisse sind, der gedenkt, eine Gruppe gegen eine andere zu mobilisieren. Es gibt wohl keine in Blut erstickte Massenbewegung – sei es die jakobinische, kommunistische, sozialistische oder  nationalsozialistische – in der nicht ein Appell an „Gerechtigkeit“ eine zentrale Rolle gespielt hätte.

„Gerechtigkeit“ ist also ein politischer Kampfbegriff. Wahrscheinlich war er das schon immer.  Als „gerecht“ werden ja Ideen und Vorstellungen präsentiert, die vor allem den Interessen der entsprechenden Protagonisten dienen. Das ist natürlich, denn der Begriff an sich wird nur durch die Haltungen und Interessen des Nutzers gefüllt.

Das zeigen etwa die jüngsten Sozialpläne der SPD: Wenn da in einer Versicherung wie dem deutschen Rentensystem plötzlich diejenigen, die wenig eingezahlt haben, so viel ausgezahlt bekommen sollen wie diejenigen, die mehr als sie geleistet haben, dann geht es da nicht um „Gerechtigkeit“. Zum einen werden ungleiche Dinge (mehr oder weniger eingezahlt) im Resultat unzulässig gleich behandelt. Zum anderen besteht das Ziel offenkundig darin, jene Gruppe durch ein Geschenk auf Kosten einer anderen im Sinne der eigenen Partei zu mobilisieren. Das ganze wird zur Tarnung und moralischen Rechtfertigung unter das hohe Banner der Gerechtigkeit gestellt.

Gerechtigkeit ist also im Grunde nicht objektiv fassbar – außer vielleicht im gegebenen Rahmen eines kodifizierten juristischen Systems. Allerdings wäre auch hier immer danach zu fragen, welche Interessen bei seiner Formulierung eine Rolle gespielt haben, und wem es dient. Die Forderung nach Gerechtigkeit trägt immer einen totalitären Hauch. In der Regel geht es darum, ein Interesse auf Kosten eines anderen zu befriedigen. Die Methoden – das zeigt ein Blick in die Menschheitsgeschichte – wurden dabei umso brutaler, je mehr die Idee der Gerechtigkeit in Richtung egalitärer Vorstellungen getrieben wurde. Das begann nicht erst bei den Hussiten und endete wohl auch nicht mit den Kommunisten.

Der beste Schutz gegen derlei Fanatismus ist noch immer ein wohl gepanzerter Individualismus. Die Grundüberzeugung, dass der Mensch von Natur aus frei sei und ebenso natürlich ein Recht auf Eigentum habe, dass aller materieller Austausch und die Herstellung gedeihlicher Umstände des menschlichen Zusammenlebens allein auf freiwilligen Verträgen beruhen sollen, macht immun gegen schwärmerischen Gerechtigkeitswahn, der doch, wenn er sich politisch manifestierte, am Ende noch immer zum übelsten allen Unrechts geführt hat: nämlich zur Verweigerung des natürlichsten Rechtes, das ein Mensch besitzt – des Rechtes auf Leben.

Merke: Wenn von Gerechtigkeit die Rede ist, muss der Blick im gleichen Augenblick auf die Interessen und Ziele des Protagonisten solcher Ideen gerichtet werden. So erkennt man, was hinter der Phrase verborgen liegt und welche Konsequenzen das Beschreiten eines mit welcher „Gerechtigkeit“ auch immer gepflasterter Weges mit sich bringen wird. Selbst benutze man „gerecht“ oder „Gerechtigkeit“ nie. Es sind dies in aller Regel Worte politischer Taschenspieler.

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