Neue deutsche Infantilisierung

by Alexander Will

Aus gutem Grund gibt es Grenzalter für Wahlen. Aus gutem Grund gab es Grenzalter für öffentliche Ämter. Öffentliches Mitbestimmen ist eben eine Frage der Erfahrung und eine Frage des Wissens. Es ist auch eine Frage der Einheit von Rechten und Pflichten.In Deutschland dreht sich das jetzt um.

 Die Alten, die mit Lebenserfahrung und über Jahrzehnte angehäuftem Wissen, – besonders die notorischen „Alten Weißen Männer“ – sind die Buhmänner der Nation. Die Jungen, die Kinder, die Unreifen gelten dagegen tatsächlich als ernstzunehmende politische Akteure. Ihre ungereiften „Meinungen“ und radikalen Forderungen werden als „frischer Wind“, als tatsächliche politische Handlungsoptionen betrachtet. Die Kritik eines Pubertierenden mit blauem Haar an einer Partei versetzt diese in massive Panik, lässt sie hyperventilieren und jegliche Gelassenheit verlieren. Sie schreitet als Resultat schließlich zur Selbstinfantilisierung.

In Wirklichkeit ist es aber so: Diese „Meinungen“ haben eben nicht den gleichen Wert und das gleiche Gewicht wie die Ansichten, Argumente und Überzeugungen Älterer. Das ist einem jungen Menschen nicht vorzuwerfen, denn das können sie auch nicht. Überzeugungen bilden sich aus Wissen und Erfahrung. Das braucht Zeit. Es geht auch nicht darum zu sagen: „Haltet die Klappe!“ Ganz im Gegenteil – man soll diskutieren, aber eben wie man es mit Kindern tut. Geduldig. Wissens- und erfahrungsvermittelnd.

Ein Restbestand dieses uralten Wissens zeigt sich in der Tatsache, dass diejenigen, die solche Kinderkreuzzüge glorifizieren, zwar einerseits mehr politische „Rechte“ für deren Teilnehmer fordern, andererseits es aber scheuen, auch die Pflichten anzupassen. Beispiel: Wer mit 16 wählen darf, muss auch dem Strafrecht für Erwachsene unterliegen. Warum soll er auf der einen Seite reif genug sein, über die Zukunft des Staates mitzuentscheiden, auf der anderen aber nicht, um für seine Taten einzustehen?

Was man nicht tun soll, ist, unausgegorenem Kinderlallen politische Wirksamkeit zu verschaffen. Warum aber ausgerechnet das in Deutschland geschieht, erklärt sich auch aus der Kinder-Romantik und dem Kult der Jugend, der in diesem Land schon immer so verbreitet war. Das reicht vom Preis des „reinen Kindes“ in der Romantik über den Jugendkult bei Stefan George bis hin zu „Kinder an die Macht“ des so urdeutschen wie verdrehten Barden Herbert Grönemeyer. Die „reine Einfalt des Kindes“ gilt in diesem Denken mehr als rationale Überlegung, die der Kombination von Fakten und Erfahrungen entspringt. Die „kalte Rationalität“ gegen die „Begeisterung“. Jugendkult gab es übrigens auch im Nationalsozialismus und im Kommunismus. Das entsprang den gleichen Quellen.

Nicht umsonst sind „Bewegungen“ wie „Fridays for Future“ rein gefühlsgetrieben und rationaler Überlegung unzugänglich. Das „Ich will, dass ihr in Panik geratet!“ eines schwer gestörten schwedischen Mädchens ist da ultimatives Symptom. Die westdeutsche Generation der 40- bis 50-jährigen,  findet das natürlich ganz klasse. Aufgewachsen in Umständen, in denen die größte Sorge darin bestand, dass Mama den Nutella-Nachschub vergessen könnte, holen sie in ihren Kindern den politischen Aktivismus nach, der in den 80er Jahren weithin nicht angesagt war.

Dabei ist das Ganze im Grunde natürlich auch höchst konformistisch. Der Kreuzzug, sei es in Sachen „Klima“ oder in Sachen Parteienkritik, spiegelt nur die Gedanken, Einstellungen und Phantasien, die im Juste Milieu ohnehin angesagt sind. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass die Linke im Lande, die Verkindlichung und die damit einhergehende De-Rationalisierung der Politik feiert:  Weil die Kinder-Brigade eben links dreht. Weil man sich davon verspricht, diese Begeisterung politisch nutzen zu können.

Was wäre aber wohl, wenn es statt eines Klima-Freitags etwa „Fridays against Asylum“ geben würde? Da wäre es mit der Freude dieser Kreise ganz schnell rum – allerdings würden dann wohl andere ihre Begeisterung für die Infantilisierung der Politik entdecken.

Deutschland bleibt halt Deutschland.