Paskalwen

Gelegentliche Texte

Worte wie Projektile (5) – „Gerechtigkeit“

So viel Konflikt war selten: In Deutschland bilden sich politische Fronten, wie noch nie nach 1945. Carl Schmitt würde sich bestätigt fühlen – die Freund-Feind-Kategorien ist jetzt Maßstab alles Redens und Handelns. Es geht nicht darum, den anderen zu überzeugen. Es geht darum, ihn zum Schweigen zu bringen. Hier werden Begriffe zu Waffen. Scharf aufgeladen sind sie die tödlichen Projektile an der Front des geistigen Bürgerkriegs. Heute: „Gerechtigkeit“

Gerechtigkeit ist seit jeher einer der am intensivsten missbrauchten politischen Begriffe. Wie in so vielen anderen Fällen liegt auch hier die Bedeutung ausschließlich im Auge des Betrachters. Objektive Maßstäbe gibt es nicht. Genau deswegen tobt der Kampf um die Definitionshoheit mit so viel Leidenschaft. Gern ergänzt wird „Gerechtigkeit“ durch „sozial“, und hier liegt der Hase im Pfeffer. Gewöhnlich öffnet sich damit nämlich eine Tür zu Umverteilung und damit einhergehender Enteignung.  Wenn dann auch noch von „Bedürfnisgerechtigkeit“ die Rede sein sollte, ist schrillster Alarm angebracht. Da geht es dann nur noch darum, eine Rechtfertigung zu finden, die vermeintlich gerechten Bedürfnisse einer Gruppe auf Kosten einer anderen zu befriedigen. Bei solchen populistischen Manipulationen bestimmt natürlich immer derjenige, was denn nun „gerechte“ Bedürfnisse sind, der gedenkt, eine Gruppe gegen eine andere zu mobilisieren. Es gibt wohl keine in Blut erstickte Massenbewegung – sei es die jakobinische, kommunistische, sozialistische oder  nationalsozialistische – in der nicht ein Appell an „Gerechtigkeit“ eine zentrale Rolle gespielt hätte.

„Gerechtigkeit“ ist also ein politischer Kampfbegriff. Wahrscheinlich war er das schon immer.  Als „gerecht“ werden ja Ideen und Vorstellungen präsentiert, die vor allem den Interessen der entsprechenden Protagonisten dienen. Das ist natürlich, denn der Begriff an sich wird nur durch die Haltungen und Interessen des Nutzers gefüllt.

Das zeigen etwa die jüngsten Sozialpläne der SPD: Wenn da in einer Versicherung wie dem deutschen Rentensystem plötzlich diejenigen, die wenig eingezahlt haben, so viel ausgezahlt bekommen sollen wie diejenigen, die mehr als sie geleistet haben, dann geht es da nicht um „Gerechtigkeit“. Zum einen werden ungleiche Dinge (mehr oder weniger eingezahlt) im Resultat unzulässig gleich behandelt. Zum anderen besteht das Ziel offenkundig darin, jene Gruppe durch ein Geschenk auf Kosten einer anderen im Sinne der eigenen Partei zu mobilisieren. Das ganze wird zur Tarnung und moralischen Rechtfertigung unter das hohe Banner der Gerechtigkeit gestellt.

Gerechtigkeit ist also im Grunde nicht objektiv fassbar – außer vielleicht im gegebenen Rahmen eines kodifizierten juristischen Systems. Allerdings wäre auch hier immer danach zu fragen, welche Interessen bei seiner Formulierung eine Rolle gespielt haben, und wem es dient. Die Forderung nach Gerechtigkeit trägt immer einen totalitären Hauch. In der Regel geht es darum, ein Interesse auf Kosten eines anderen zu befriedigen. Die Methoden – das zeigt ein Blick in die Menschheitsgeschichte – wurden dabei umso brutaler, je mehr die Idee der Gerechtigkeit in Richtung egalitärer Vorstellungen getrieben wurde. Das begann nicht erst bei den Hussiten und endete wohl auch nicht mit den Kommunisten.

Der beste Schutz gegen derlei Fanatismus ist noch immer ein wohl gepanzerter Individualismus. Die Grundüberzeugung, dass der Mensch von Natur aus frei sei und ebenso natürlich ein Recht auf Eigentum habe, dass aller materieller Austausch und die Herstellung gedeihlicher Umstände des menschlichen Zusammenlebens allein auf freiwilligen Verträgen beruhen sollen, macht immun gegen schwärmerischen Gerechtigkeitswahn, der doch, wenn er sich politisch manifestierte, am Ende noch immer zum übelsten allen Unrechts geführt hat: nämlich zur Verweigerung des natürlichsten Rechtes, das ein Mensch besitzt – des Rechtes auf Leben.

Merke: Wenn von Gerechtigkeit die Rede ist, muss der Blick im gleichen Augenblick auf die Interessen und Ziele des Protagonisten solcher Ideen gerichtet werden. So erkennt man, was hinter der Phrase verborgen liegt und welche Konsequenzen das Beschreiten eines mit welcher „Gerechtigkeit“ auch immer gepflasterter Weges mit sich bringen wird. Selbst benutze man „gerecht“ oder „Gerechtigkeit“ nie. Es sind dies in aller Regel Worte politischer Taschenspieler.

Alle Teile der Serie hier entlang.

Sie sind die Grüne Garde

 

Dem Morgenrot entgegen,
Ihr Kampfgenossen all!
Bald siegt ihr allerwegen,
Bald weicht der Feinde Wall!

Für zwei satirische Posts zu den Freitagsdemonstrationen jugendlicher Klimatiker (einer hier) bin ich teils heftig kritisiert worden. Die Argumente dieser Kritik waren durchaus bezeichnend für das erste Viertel des 21. Jahrhunderts und erfordern eine grundsätzliche Antwort:

1. Es sei doch prima, wenn sich junge Leute endlich einmal politisch engagierten. Das habe man doch immer gewollt.
2. Es sei doch großartig, da es hier um ein Thema ginge, das extistentiell für die Welt sei.
3. Man solle doch bitte die jungen Menschen nicht kritisieren, denn das könnte sie in ihrer Aktivität entmutigen.
4. Es sei löblich eine solche Zivilcourage zu zeigen. Das habe man lange nicht mehr erlebt.
5. Es sei wirklich gemein, sich über diese gutwilligen jungen Menschen lustig zu machen.

Darauf ist zu sagen:

Politisches Engagement als solches ist zunächst weder grundsätzlich gut noch grundsätzlich schlecht. Es kommt darauf an, worum es geht. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. In Wirklichkeit haben wir es bei dieser „Bewegung“ mit einer klassischen Abnabelungshandlung von den Älteren und Eltern zu tun. Dabei ist diese Art von politischem Aktionismus jedoch nur ein Scheinwiderspruch zur Welt der „Alten“. Wer da demonstriert, nimmt zum einen die technischen Errungenschaften der Alten gern in Anspruch. Er erfreut sich am Wohlstand, den sie erarbeitet haben und zu dem er selbst noch nichts beigetragen hat. Das Wort von der #langstreckenluisa kommt eben nicht von ungefähr.

Es beschreibt treffend die pubertäre Hybris, die sich in solchem Handeln verbirgt, und auf die jederzeit hinzuweisen ist. Vielleicht lernen die jungen Leute ja daraus. Kritiklose Zustimmung nämlich bringt niemals Erkenntnisgewinn. Der entwickelt sich nur im Widerspruch. Und da kommt es eben auch darauf an, sich mit solchen Fragen zu befassen, statt zu krakeelen:

Erkenntnisfördernder Widerspruch ist es auch, wenn man das Jungvolk darauf stößt, dass ihr vermeintlicher Widerstand ganz im Gegenteil hochkonformistisch ist. Wofür es da demonstriert, ist in einem Teil der Gesellschaft längst quasireligiös verankert. Es rennt in politisch mächtigen Segmenten der deutschen Gesellschaft offene Türen ein und wird im Übrigen als nützlicher Idiot missbraucht. Dass sich niemand von diesen angeblich so politischen jungen Menschen wundert, warum Leute wie Robert Habeck (Grüne) oder Stephan Weil (SPD) so auffallend intensiv ihre Nähe suchen, enttarnt die unterstellte politische Reife als Pseudoreife.

Ihre Aktionen haben daher auch nichts, aber auch gar nichts mit „Zivilcourage“ zu tun, wie das Habeck formulierte. Es ist vielmehr risikoloser Gratismut, der zu mutigem Aktivismus verklärt wird. Das mag traurig für das Selbstwertgefühl sein, ist aber die korrekt beschriebene Realität.

Es ist eben doch ein massiver Unterschied, ob man heute gegen oder für etwas auf die Straße geht, was im Großen und Ganzen – zumindest in einem sehr mächtigen politischen Segment – unumstritten ist, oder ob man etwa als junger Mensch in der DDR oder während des Dritten Reiches echten Widerstand gegen ein Regime geleistet hat. Es empfiehlt sich da das Studium der Geschichte der Edelweißpiraten, der Leipziger Meuten oder auch der Jungen Gemeinden in der DDR. Hier hat ganz klar der Geschichtsunterricht versagt. Wenn heute Witzchen über das organisierte freitägliche Schulschwänzen schon als böse, schlimme und unfaire Kritik gesehen werden, zeigt das, mit welch einer Schneeflöckchen-Generation wir es zu tun haben. Austeilen ja. Einstecken nein. Viel Gejammer. Wenig Standfestigkeit, sehr wenig robuste Widerstandskraft. Kein Wunder bei alle der Verhätschelung in der westdeutschen Wohlstandsgesellschaft.

Das Versagen des Geschichtsunterrichtes, eine historische Perspektive zu etablieren, spiegelt sich auch in den geradezu maßlosen Vergleichen und Vorstellungen wider. Da ist etwa die Rede von der „größten Krise der Menschheit“ aller Zeiten. Nun – da fehlt der Goldenen Jugend des Jahres 2019 die Vorstellung, was Weltkriege, die Shoah, die mörderische kommunistische Herrschaft oder auch der mittelalterliche Mongolensturm bedeutet haben.

Im Grunde ist das alles ja massiv Angst getrieben, wie so viele dieser Bewegungen in der alten Bundesrepublik. Was gab es da nicht alles: saurer Regen, Waldsterben, Tschernobyl, Nachrüstung. Jedes Mal stand die Apokalypse vor der Tür, jedes Mal „streng wissenschaftlich“ begründet, und jedes Mal waren diejenigen, die dem apokalyptischen Endzeitglauben nicht anhingen, kriminelle Ketzer.

Die ,,Bewegung“ erinnert zudem an eine grün lackierte und (noch) harmlosere Variante der chinesischen Roten Garden. Die waren etwa im gleichen Alter und wollten auch eine Utopie errichten. Am Ende, nachdem sie Angst und Schrecken gesät hatten,  mussten sie erkennen, dass sie missbraucht wurden. Da war es aber schon zu spät.