Übersetzung: ,,Die Rechte des Menschen“ von Ayn Rand
by Alexander Will
Dieses Essay ist in mancher Hinsicht die Fortsetzung des bereits hier veröffentlichten Textes ,,Der einzige Weg ins Morgen“, allerdings ist er erheblich jünger. Ayn Rand formuliert hier ihre Ansicht zu den Rechten des Menschen, die sie im Wesentlichen auf zwei grundlegender Art reduziert. Sie beschreibt darüber hinaus die noch heute andauernde Inflationierung von Rechten und die daraus erwachsenden Folgen. Die politische Linke ist ja heute noch immer damit beschäftigt, fleißig irgendwelche neuen Rechte ökonomischer Art für den Einzelnen zu formulieren, sowie ein Heer von Gruppen- und Sonderrechten zu etablieren. Rand läßt hier durchblicken, daß dies letztlich in den Totalitarismus führt.
Zeitgebunden ist ihr Beispiel aus der Medienbranche. Der Leser wird aber zweifellos unschwer analoge Beispiele aus der Gegenwart finden. Typisch für die doktrinären Züge ihres Denkens ist Rands Ausflug in atheistische Propaganda. Der vorliegende Text wäre gut ohne die Erörterung göttlicher oder ,,natürlicher“ Rechtfertigung der Rechte des Menschen ausgekommen. Rands manischer Atheismus ließ das aber wohl nicht zu.
Bemerkenswert ist Ayn Rands Stil. Sie schreibt in sehr kurzen Absätzen und in einer Art Stakkato. Das wirkt wenig elegant, aber klar. Zum einen lieferte dieser Stil Kritikern Munition für ihren Vorwurf, Rands Denken sei dogmatisch und bestehe nur aus Axiomen. Zum anderen mag er aber auch ihren Erfolg erklären, denn gerade die Kürze und Klarheit der Formulierungen machen ihre Texte leicht zugänglich. Gelegentliche Unzulänglichkeiten der Grammatik sind mit Rands russischer Herkunft zu erklären. Englisch war nicht ihre Muttersprache, und bis ins hohe Alter behielt sie einen starken russischen Akzent bei.
In der Übersetzung wurde versucht, die Eigentümlichkeit des Randschen Stils zu bewahren, ihn aber auch ein wenig zu glätten. Hervorhebungen entsprechen denen im Original.
Die Rechte des Menschen
von Ayn Rand
Wenn sich jemand für eine freie Gesellschaft einsetzen möchte – also für den Kapitalismus – dann muß er verstehen, daß die unabdingbare Grundlage einer solchen Gesellschaft das Prinzip der individuellen Rechte ist. Wenn jemand die Rechte des Individuums hochhält, so muß er erkennen, daß der Kapitalismus das einzige System ist, das sie hochhalten und verteidigen kann. Wenn aber jemand das Verhältnis der heutigen Intellektuellen zur Freiheit bewerten will, dann wird er feststellen, daß das Konzept der individuellen Freiheit vermieden, verfälscht, pervertiert und sehr selten diskutiert wird. Besonders auffällig ist dies bei den so genannten Konservativen.
,,Rechte” sind ein moralischer Konzept. Es umfaßt Prinzipien, die Grundlagen der Aktionen eines Individuums sind, sowie Prinzipien, die sein Verhältnis zu anderen regeln. Dieses Konzept der Rechte erhält und schützt die individuelle Moral in einem sozialen Kontext. Rechte sind die Verbindung zwischen den individuellen moralischen Grundsätzen eines Menschen und dem kodifizierten Recht einer Gesellschaft, zwischen Ethik und Politik. Individuelle Rechte sind das Werkzeug, mit dem die Gesellschaft dem Gesetz der Moral unterworfen wird.
Jedes politische System basiert auf einem ethischen Kodex. In der Geschichte der Menschheit dominierten altruistisch-kollektivistische Doktrin, die das Individuum einer höheren Autorität unterwarfen, sei diese mystischer oder sozialer Natur. Damit waren die meisten politischen Systeme nur Varianten der gleichen Tyrannei. Sie unterschieden sich nur im Grad der Barbarei, nicht in ihren konstituierenden Prinzipien. Die Unterschiede lagen letztlich nur in den spezifischen Traditionen, in der Art des entstehenden Chaos, der Form blutiger Auseinandersetzungen sowie der Art und Weise des Zusammenbruchs. In all diesen Systemen war die Moral etwas, das nur das Individuum betraf, nicht aber die Gesellschaft. Die Gesellschaft wurde über die Regeln der Moral erhoben – als ihre Verkörperung, ihre Quelle oder ihr ausschließlicher Deuter. Die Etablierung der selbstaufopferende Hingabe als soziale Pflicht wurde als Hauptzweck der Ethik in der frühen Existenz des Menschen angesehen.
Weil es nun aber so etwas wie ,,Gesellschaft” nicht gibt, weil die ,,Gesellschaft” nur eine Ansammlung einzelner Menschen darstellt, bedeutete dies in der Realität, daß die Machthaber von den Regeln der Moral ausgenommen waren. Sie mußten sich nur den traditionellen Ritualen unterwerfen und waren ansonsten absolute Herrscher, die blinden Gehorsam einforderten. Das implizite Prinzip einer solchen Herrschaft aber lautete: „Das Gute ist das, was gut für die Gesellschaft (den Stamm, die Rasse, die Nation) ist, und die Worte des Herrschers sind die Stimme des Guten auf Erden.“
Dies traf für alle Systeme und alle altruistisch-kollektivistischen Ethiken zu, auf denen sie beruhten. Sie konnten mystischer oder sozialer Art sein – das „göttliche Recht der Könige“ ist ein Beispiel für ersteres, „Vox populi, vox dei“ steht für das zweite. Als Kronzeugen rufe ich die Ägyptische Theokratie der Antike, den Wohlfahrtsstaat der römischen Kaiser, die Inquisition des späten Mittelalters, die absolute Monarchie in Frankreich, den Wohlfahrtsstaat in Bismarcks Preußen, die Gaskammern Nazi-Deutschlands und die Schlachthäuser der Sowjetunion.
All diese Systeme beruhten auf einer altruistisch-kollektivistischen Ethik. Ihre gemeinsame Charakteristik ist die Tatsache, daß die Gesellschaft als omnipotenter Souverän über den moralischen Regeln stand. Politisch waren alle diese Systeme also Varianten einer amoralischen Gesellschaft.
Die revolutionärste Errungenschaft der Vereinigten Staaten von Amerika ist die Unterordnung der Gesellschaft unter moralische Regeln.
Das Prinzip individueller Rechte des Menschen verkörpert das Eindringen der Moral in das soziale System. Moral nimmt dabei die Form der Begrenzung der Macht des Staates, des Schutzes des Menschen vor der brutalen Gewalt des Kollektivismus, die Form der Unterordnung der Macht unter das Recht an. Die USA waren die erste moralische Gesellschaft der Geschichte.
Jedes vorangehende System hat den Menschen als ein Opferlamm für die Zwecke anderer betrachtet. Die Gesellschaft galt als Zweck an sich. Die Vereinigten Staaten betrachteten hingegen den Menschen als Zweck an sich und die Gesellschaft als Mittel zu einer friedlichen, geordneten und freiwilligen Koexistenz von Individuen. Alle vorangegangen politischen Systeme beruhten auf der Überzeugung, das Leben des Mensche gehöre der Gesellschaft, diese könne damit nach Belieben verfahren und jede Freiheit, derer sich ein Mensch erfreut, sei nur ein Gnadenakt der Gesellschaft, der jederzeit widerrufen werden könne. Die Vereinigten Staaten dagegen beruhen auf anderen Überzeugungen: Das Leben eines Menschen ist zunächst sein Eigentum durch das Recht, also wegen eines moralischen Prinzips und naturgegeben. Ein Recht ist das Eigentum eines Individuums. Die Gesellschaft als solche besitzt keine Rechte. Sodann besteht die einzige moralische Rechtfertigung für die Existenz einer Regierung in der Verteidigung individueller Rechte.
Ein ,,Recht” ist ein moralisches Prinzip und rechtfertigt die Freiheit des Handelns eines Menschen in einer sozialen Umgebung. Es gibt nur ein grundlegendes Recht (alle anderen sind Ableitungen daraus): das Recht eines Menschen auf sein eigenes Leben. Leben bedeutet dabei eine Folge von Handlungen, die aus dem Selbst entspringen und der Selbsterhaltung dienen. Das Recht zu leben bezeichnet also das Recht, aus eigenem Antrieb und zur Selbsterhaltung zu handeln. Das wiederum umfaßt die Freiheit zu allen – durch die rationale Natur des menschlichen Wesens gerechtfertigten – Handlungen, die der Erhaltung, Entwicklung, Erfüllung und Freude dienen. So erklären sich auch die Worte der amerikanischen Verfassung, die da lauten „Leben, Freiheit und Streben nach Glück“.
Das Idee von einem ,,Recht” betrifft dabei Handlungen – genauer die Freiheit zu bestimmten Handlungen. Sie umfaßt aber auch die Freiheit von physischem Druck, Zwang und Störungen seitens anderer Menschen. So stellt also für jedes Individuum ein Recht die moralische Rechtfertigung für ein Positivum dar: die Rechtfertigung der Freiheit, nach seinem eigenen Ermessen und mit eigenen Zielen zu handeln – freiwillig und ungezwungen. Seinen Nächsten erlegt dies keine Verpflichtungen auf, außer einem Negativum: dieses Recht nicht zu verletzen.
Das Recht auf Leben ist die Quelle aller Rechte – und das Recht auf Eigentum ist seine einzige materialisierte Erscheinung. Ohne Eigentumsrechte sind keine anderen Rechte denkbar. Weil der Mensch sein Leben aus eigener Anstrengung erhalten muß, kann dies jemand, der des Resultates seiner Anstrengungen beraubt wird, nicht tun. Wer produziert, während andere sich sein Produkt aneignen, ist ein Sklave.
Das Recht auf Eigentum ist, wie alle anderen Rechte auch, ein Recht zu handeln. Es ist nicht das Recht auf ein Objekt, sondern auf das Handeln, das sich aus der Produktion oder dem Erwerb eines Objektes ergibt. Es ist aber keine Garantie, daß ein Mensch Eigentum besitzen wird, es ist nur eine Garantie, daß er es besitzen wird, wenn er es erwirbt. Es handelt sich also um das Recht, materielle Güter zu erwerben, zu behalten, zu benutzen und über sie zu verfügen.
Das Konzept individueller Rechte ist so neu in der menschlichen Geschichte, daß die meisten Menschen es bis jetzt noch nicht richtig verstanden haben. In Übereinstimmung mit den beiden vorangegangenen Überlegungen zur Ethik – ihrem Ursprung aus mystischen oder sozialen Quellen – nehmen manche Menschen an, Rechte sind ein Geschenk Gottes. Andere glauben, es handelt sich um Geschenke der Gesellschaft. In Wirklichkeit ist die Quelle individueller Rechte aber die Natur des Menschen.
Die Unabhängigkeitserklärung sagt, daß ,,der Mensch vom Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten“ ausgestattet worden sei. Ob man nun glaubt, daß der Mensch geschaffen worden, oder ein Produkt der Natur ist: Es ändert nichts an der Tatsache, daß er ein spezifisches Wesen besitzt. Er ist ein rationales Geschöpf, kann unter Zwang nicht funktionieren, und Rechte sind eine notwendige Bedingung seiner besonderen Art zu überleben.
,,Die Quelle der Rechte des Menschen sind nicht göttliches Recht oder ein Kongreß-Beschluß. Es ist seine Identität. A ist A, und ein Mensch ist ein Mensch. Rechte sind Grundlagen der menschlichen Existenz, die seine Natur erfordern, damit er überleben kann. Wenn der Mensch auf der Erde leben soll, ist es richtig, daß er seinen Verstand benutzt, es ist richtig, daß er nach seinem Urteilsvermögen handelt, es ist richtig, daß er sich für seine Werte einsetzt, und es ist richtig, daß er das Produkt seiner Arbeit für sich behält. Wenn das Leben auf der Erde seine Bestimmung ist, dann ist es sein Recht, als rationales Wesen zu leben. Die Natur verbietet ihm jede Irrationalität.” (Atlas Shrugged)
Die Rechte des Menschen zu verletzen bedeutet, ihn zu zwingen, gegen sein eigenes Urteil zu handeln oder seine Werte zu verraten. Es gibt nur einen Weg dies zu tun: mit physischer Gewalt. Verletzt werden diese Rechte in der Regel von zwei Mächten: von Kriminellen und der Regierung. Die große Errungenschaft der USA ist es dabei, diese beiden klar unterscheidbar gemacht zu haben – indem der Regierung per Verfassung untersagt wurde, legalisierte Methoden des Verbrechens anzuwenden. In der Unabhängigkeitserklärung finden wir den Satz: ,,Um diese Prinzipien sicherzustellen, wurden den Mensche Regierungen gegeben.“ Dieser Satz liefert die einzige Rechtfertigung für die Existenz von Regierungen und definiert gleichzeitig ihre Aufgabe: Schutz der Rechte des Menschen, indem sie ihn vor physischer Gewalt bewahrt.
Damit wurde die Regierung von einem Herrscher zu einem Diener. Als ihre Aufgabe wurde festgesetzt, den Menschen vor Kriminellen zu schützen. Die Verfassung selbst wurde jedoch geschrieben, um den Menschen vor der Regierung zu schützen. Die Bill of Rights richtete sich nicht gegen den einzelnen Bürger, sondern gegen die Regierung. Sie erklärte nämlich explizit, daß individuelle Rechte über jeder Staatsmacht stehen.
Das Ergebnis war das Muster einer zivilisierten Gesellschaft, zu der Amerika fast geworden wäre. Eine zivilisierte Gesellschaft ist eine, in der physische Gewalt aus den menschlichen Beziehungen verbannt ist und in der eine Regierung, indem sie wie ein Polizist handelt, Gewalt nur als Vergeltung und nur gegen jene anwendet, die Anlaß dazu geben. Das war die grundlegende Aussage und Absicht amerikanischer politischer Philosophie, implizit im Konzept individueller Rechte. Aber diese Absicht wurde weder explizit formuliert, noch akzeptiert oder beständig praktiziert.
Amerikas innerer Widerspruch bestand vielmehr in der herrschenden altruistisch-kollektivistischen Ethik. Altruismus ist nicht vereinbar mit Freiheit, mit Kapitalismus und mit individuellen Rechten. Man kann nicht nach Glück streben und gleichzeitig die Moral eines Opfertieres vertreten.
Es war aber das Konzept individueller Rechte, das der Idee einer freien Gesellschaft voran ging. So ist es auch die Zerstörung individueller Rechte, mit der die Zerstörung der Freiheit beginnen muß. Eine kollektivistische Tyrannei wagt es nicht, ein Land mittels eines offenen Verbots von Meinungen oder Werten, zu versklaven. Es muß mit schleichender innerer Zersetzung geschehen. In der Welt der Dinge werden die Reichtümer eines Landes mittels der Inflation seiner Währung geplündert. Heute kann man beobachten, wie dieser Prozeß der Inflation auf die Welt der Rechte übertragen wird. Der Prozeß beinhaltet eine solche Menge an neu erfundenen ,,Rechten“, daß die Menschen nicht bemerken, wie diese Idee in ihr Gegenteil verkehrt wird. So wie schlechtes Geld gutes Geld verdrängt, so negieren diese ,,Druckerpressen-Rechte“ wirkliche Rechte. Man führe sich auch vor Augen, daß es niemals zuvor eine so weite Verbreitung von zwei völlig gegensätzlichen Erscheinungen gegeben hat: angebliche neue ,,Rechte“ und Zwangsarbeitslager.
Der Trick war nun die Übertragung der Idee von den Rechten des Menschen von der politischen auf die wirtschaftliche Sphäre. Das Programm der Demokratischen Partei von 1960 faßt diese Übertragung zweifelsfrei und kühn zusammen. Es erklärt, daß eine von den Demokraten geführte Regierung „den Katalog wirtschaftlicher Rechte, den Franklin Roosevelt vor 16 Jahren in das Bewußtsein unserer Nation eingeprägt hat, erneuern wird“. Man sollte die Bedeutung des Konzeptes individueller Rechte im Kopf haben, wenn man die Liste betrachtet, die dieses Programm enthält:
,,1. Das Recht auf einen nützlichen und gut bezahlten Arbeitsplatz in der Industrie, einer Werkstatt, einem Bergwerk oder auf den Farmen der Nation.
2. Das Recht, genug zu verdienen, um für angemessene Ernährung, Kleidung und Erholung zu sorgen.
3. Das Recht für jeden Farmer, seine Produkte zu einem Preis zu verkaufen, der ihm und seiner Familie ein angenehmes Leben ermöglicht.
4. Das Recht jedes Geschäftsmannes, klein oder groß, in einer Atmosphäre der Freiheit von unfairem Wettbewerb und von Monopolen zu handeln – im Inland und im Ausland.
5. Das Recht jeder Familie auf ein ordentliches Zuhause.
6. Das Recht auf angemessene medizinische Betreuung und die Möglichkeit sich gesund zu erhalten.
7. Das Recht auf angemessenen Schutz vor den ökonomischen Risiken des Alters, von Krankheit, Unfällen und Arbeitslosigkeit.
8. Das Recht auf gute Bildung.”
Eine einfache Frage nach jedem dieser Punkte macht das Problem klar: Auf wessen Kosten?
Arbeitsplätze, Kleidung, Erholung (!), Wohnungen, medizinische Versorgung und Bildung wachsen nicht auf Bäumen. Es sind von Menschen geschaffene Werte. Wer muß sie bereitstellen?
Wenn einige Menschen das Recht auf die Produkte der Arbeit anderer besitzen, dann bedeutet das, anderen werden Rechte genommen und sie werden zu Sklaven-Arbeit verurteilt. Jedes angebliche ,,Recht” eines Menschen, das auf der Grundlage der Verletzung des Rechts eines anderen existiert, kann nie und nimmer ein Recht sein. Kein Mensch kann das Recht besitzen, einem anderen Menschen eine unfreiwillige Verpflichtung, eine unbezahlte Pflicht oder Zwangsarbeit zu oktroyieren. Es kann kein „Recht auf Versklavung“ geben.
Ein Recht beinhaltet nämlich nicht die materielle Verwirklichung dieses Rechts durch andere Menschen. Es umfaßt nur die Freiheit, sich diese Verwirklichung durch eigene Anstrengung zu verdienen. Man beachte in dieser Hinsicht die intellektuelle Präzision der Gründerväter: Sie sprachen vom Recht auf das Streben nach Glück – und eben nicht vom Recht auf Glück. Das bedeutet, ein Mensch hat das Recht, die Handlungen zu unternehmen, die seiner Meinung nach dazu führen, daß er das Glück findet. Es bedeutet nicht, daß andere die Pflicht haben, ihn glücklich zu machen.
Das Recht auf Leben umfaßt, daß ein Mensch das Recht hat, seinen Lebensunterhalt mit eigener Arbeit zu verdienen (auf jedem Einkommensniveau, so weit seine Fähigkeiten ihn tragen). Es bedeutet nicht, daß andere die Pflicht haben, ihn mit den Notwendigkeiten des Lebens zu versorgen. Das Recht auf Eigentum umfaßt, daß ein Mensch das Recht hat, wirtschaftliche Entscheidungen zu fällen, die notwendig sind, Eigentum zu erwerben. Es bedeutet nicht, daß andere die Pflicht haben, ihn mit Eigentum zu versorgen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung umfaßt, daß ein Mensch seine Ideen und Ansichten aussprechen darf, ohne die Gefahr, daß die Regierung diese unterdrückt und ihn bestraft. Es bedeutet nicht, daß andere die Pflicht haben, ihn mit einem Vortragssaal, einer Radiostation oder einer Druckerpresse auszustatten. Jede Tätigkeit, jedes Unternehmen, das mehr als einen Beteiligten hat, verlangt die freiwillige Zustimmung jedes Teilnehmers. Jeder dieser Menschen hat das Recht, seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Keiner aber hat das Recht, seine Entscheidung anderen aufzuzwingen.
Es gibt kein ,,Recht auf einen Arbeitsplatz” – es gibt nur das Recht auf freien Handel: Ein Mensch hat das Recht, einen Job anzunehmen oder abzulehnen, wenn ein anderer die Entscheidung trifft, ihm einen solchen anzubieten. Es gibt kein „Recht auf Wohnung“ – es gibt nur das Recht auf freien Handel: Jeder Mensch hat das Recht ein Haus zu bauen oder eins zu kaufen. Es gibt kein Recht auf „faire“ Löhne oder „faire“ Preise, wenn niemand die Entscheidung trifft, diese zu zahlen oder jemanden anzustellen. Es gibt kein „Recht des Verbrauchers“ auf Milch, Schuhe, Filme oder Champagner, wenn keiner die Wahl trifft, sie zu produzieren – es gibt nur das Recht, sie selbst herzustellen. Es gibt keine „Rechte“ von Gruppen, es gibt keine „Rechte“ von Landwirten, Arbeitern, Geschäftsleuten, Arbeitnehmern und Arbeitgebern, Alten, Jungen oder Ungeborenen. Es gibt nur die Rechte des Menschen – Rechte die jeder Mensch individuell besitzt und die alle Menschen als Individuen besitzen.
Das Recht auf Eigentum und das Recht auf freien Handel sind die einzigen „wirtschaftlichen Rechte“ des Menschen (im Grunde handelt es sich aber auch hier um politische Rechte). Es kann also so etwas wie ein „Economic Bill of Rights“ nicht geben. Man beachte, daß die Befürworter des letzteren inzwischen die politischen Rechte fast vollständig zerstört haben.
Wir haben oben erklärt, daß Rechte moralische Prinzipien sind, die eines Menschen Handlungsfreiheit schützen, aber anderen Menschen keine Verpflichtungen auferlegen. Individuen dürfen daher ihre respektiven Rechte nicht in Frage stellen oder sich gegenseitig die Freiheit beschneiden. Ein Individuum, das zu physischer Gewalt greift, um die Rechte anderer zu verletzen, ist ein Krimineller – gegen den sich der Mensch verteidigen darf.
Kriminelle sind allerdings in jeder Epoche und jedem Land immer eine kleine Minderheit gewesen. Der Schaden, den sie der Menschheit zugefügt haben ist zu vernachlässigen, vergleicht man ihn mit dem Schrecken – Blutvergießen, Kriege, Verfolgungen, Enteignungen, Hungersnöte, Versklavung und Zerstörung – der den Menschen von ihren Regierungen zugefügt worden ist. Eine Regierung ist potentiell die gefährlichste Bedrohung der Rechte des Menschen, schließlich besitzt sie ein Gewaltmonopol und steht wehrlosen Opfern gegenüber. Eine Regierung ist des Menschen schlimmster Feind, wenn sie nicht durch die Rechte des Individuums in Schach gehalten wird. Nicht zum Schutz vor dem Handeln von Individuen, sondern zum Schutz vor Regierungshandeln wurde die Bill of Rights verfaßt.
Nun betrachte man den Prozeß, der diesen Schutz zerstört.
Er besteht darin, daß dem Individuum eben jene Handlungen angekreidet werden, die der Regierung per Verfassung verboten sind. Ein Individuum kann solche Übertretungen aber gar nicht begehen, da solches Handeln ja nur der Regierung verboten ist. Diese Methode wird besonders auf dem Feld der Meinungsfreiheit offensichtlich. Kollektivisten propagieren nun schon seit Jahren, es sei eine Verletzung des Rechts auf Meinungsfreiheit, ein Akt von Zensur, wenn ein Individuum es ablehnt, jemanden zu finanzieren, der eine andere Ansicht vertritt.
Es sei ,,Zensur”, sagen sie, wenn eine Zeitung es ablehnt, Journalisten zu beschäftigen, deren Ansichten der Politik des Hauses nicht entsprechen.
Es sei ,,Zensur”, behaupten sie, wenn Geschäftsleute nicht in Magazinen inserieren, die sie verleumden, beleidigen und mit Dreck bewerfen.
Es sei ,,Zensur”, behaupten sie, wenn ein TV-Sponsor etwas gegen empörende Inhalte in einem Programm, das er finanziert, unternimmt.
Und dann ist da noch der Chef der Federal Communications Commission, Newton N. Minow. Er sagt: „Es ist Zensur seitens der Anzeigenkunden oder der TV-Netzwerke, wenn sie Sendungen ablehnen, die ihnen angeboten werden.“ Es ist der gleiche Mr. Minow, der damit droht, jedem Sender die Lizenz zu entziehen, der nicht mit seinen Ansichten zur Programmgestaltung konform geht, und behauptet, das sei keine Zensur.
Man bedenke die Folgen.
,,Zensur” ist ja ein Begriff, der nur auf das Handeln einer Regierung angewendet werden kann. Privates Handeln ist niemals Zensur. Kein Individuum und keine private Organisation können eine Publikation unterdrücken oder jemanden zum Schweigen bringen. Das kann nur eine Regierung. Das Recht der Meinungsfreiheit umfaßt eben auch das Recht, nicht zuzustimmen, nicht hinzuhören, und nicht seine Gegner zu finanzieren.
Aber nach den Vorstellungen der Verfechter eine ,,Economic Bill of Rights” hat ein Individuum eben nicht das Recht, mit seinem Besitz zu tun, was ihm beliebt, sondern muß es unterschiedslos jedem Propagandisten zur Verfügung stellen, der ein angebliches „Recht“ darauf hat.
In der Konsequenz bedeutet das also, wenn jemand über die materiellen Möglichkeiten verfügt, Meinungen und Ansichten zu verbreiten, wird ihm das Recht genommen, irgendwelche eigenen Meinungen zu hegen. Es bedeutet, daß ein Verleger Bücher publizieren muß, die er als wertlos, falsch oder böse betrachtet, daß ein TV-Sponsor Kommentatoren finanzieren muß, die ihn beleidigen, daß der Herausgeber einer Zeitung die Kommentarspalten seines Blattes jedem jungen Hooligan öffnen muß, der für die Versklavung der Presse Stimmung macht. Es bedeutet, daß eine Gruppe das „Recht“ zu unbegrenzter Tätigkeit erhält, während eine andere Gruppe zu hilfloser Verantwortungslosigkeit verurteilt wird.
Da es aber nun ganz offensichtlich völlig unmöglich ist, jeden Interessierten mit einem Job, einem Mikrophon oder einer Kolumne in der Zeitung zu versorgen, stellt sich die Frage: Wer entscheidet eigentlich über die ,,Verteilung“ dieser ,,wirtschaftlichen Rechte“? Wer wählt die Empfänger aus, wenn die Rechte des Eigentümers vernichtet worden sind? Nun, Mr. Minow hat das ganz klar gemacht.
Wer glaubt, das alles beträfe nur die Reichen, die Besitzer großer Vermögen, sollte sich dies klar machen: Diese ,,wirtschaftlichen Rechte” umfassen auch das ,,Recht” jedes Pseudo-Theaterschriftstellers, jedes Beatniks, jedes Lärm-Komponisten (der politischen Einfluß hat) auf finanzielle Unterstützung, die man ihnen ja verweigert, wenn man ihre Vorstellungen nicht besucht. Was sonst ist es, wenn Steuergeld benutzt wird, um Kunst zu subventionieren?
Während aber die Leute nach ,,wirtschaftlichen Rechten” schreien, gerät das Konzept der politischen Rechte in Vergessenheit. Es wird vergessen, daß es sich im Falle des Rechts auf Meinungsfreiheit darum handelt, seine Ansichten zu vertreten, aber auch darum, die Konsequenzen wie widerstreitende Ansichten, Unpopularität und mangelnde Unterstützung zu ertragen. Die politische Funktion des „Rechts auf freie Meinungsäußerung“ ist es, Abweichler und unpopuläre Minderheiten vor gewalttätiger Unterdrückung zu schützen – nicht aber ihnen Unterstützung, Vorteile oder Popularität, die sie selbst nicht erringen können, zu garantieren.
In der Bill of Rights lesen wir: ,,Der Kongreß soll kein Gesetz verabschieden …. , das die Freiheit der Rede oder der Presse beschneidet.“ Es steht dort eben nicht geschrieben, daß ein Individuum verpflichtet ist, demjenigen ein Mikrophon zu verschaffen, der seine Zerstörung propagiert. Es steht dort nicht geschrieben, daß man einem Räuber freie Passage zu gewähren hat oder man einem Mörder das Messer für seine Tat zur Verfügung stellen muß.
So steht es also mit einem der wichtigsten Probleme der Gegenwart: dem Konflikt zwischen politischen Rechten und ,,wirtschaftlichen Rechten”. Es gibt hier nur ein Entweder und ein Oder. Eins schließt das andere aus. In Wirklichkeit aber gibt es so etwas wie ,,wirtschaftliche Rechte” nicht, es existieren keine ,,kollektiven Rechte” und keine ,,Rechte”, die sich aus ,,öffentlichem Interesse“ ableiten lassen. Der Begriff ,,individuelles Recht“ ist redundant: Es gibt keine andere Art von Rechten, und niemand anderen als das Individuum, der Rechte besitzen könnte.
Diejenigen, die sich für laissez-faire-Kapitalismus einsetzen, sind letztlich die einzigen, die für die Menschenrechte kämpfen.
April 1963
[…] Für die Übersetzung gelten die Anmerkung, die hier zu finden sind. […]